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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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»Der Mensch leidet unter Aufschreibsucht. Es ist eine Sucht alles aufzuschreiben. Der Mensch ist vergesslich. Deshalb schreibt er alles auf. Was er hätte vergessen sollen. Die Natur hat uns mit Vergessen gesegnet. Dagegen schreiben wir alles auf. Das ist ein Irrweg. Er ist tödlich. Im Namen der Bibel und des Korans werden Kriege geführt und sterben Millionen Menschen. Der Koran war mündlich überliefert, dann wurde er aufgeschrieben. Weil der Mensch süchtig danach ist alles aufzuschreiben damit es überliefert wird damit man es nicht vergisst den alten Käse. Man hätte die alten Sprüche längst vergessen und niemand müsste sterben weil Gott soundso gesagt hat oder weil Marx oder Mao dies und das gesagt haben. Aus den Büchern entsteht Mord und Todschlag. Bücher müssen brennen. Ich bin Buchhasser.«
    Totschlag schreibt sich mit t. Oder? Jaja, die bildungsferne Jugend. Ich war zu müde und nervös, um genauer darüber nachzudenken. Gegen ein Uhr hatte ich im Netz gefunden, was ich brauchte, um halbwegs ruhig ins Bett zu sinken: einen Laden namens Spyworld.
    Um drei schrillte mein Telefon.
    Meine Festnetznummer kannten nicht viele, unter ihnen meine alternde Mutter, deshalb sprintete ich ins Wohnzimmer, ehe ich überhaupt aufgewacht und aufgestanden war. »Ja?« Vor lauter Herzpumpen hörte ich kaum was.
    »Bei mir sind Viecher im Bett!«, schrie da jemand to tal in Panik.
    »Was für Viecher?« Waren die Bullen ins Schlafzim mer meiner Mutter eingebrochen? Aber sie schlief doch im oberen Stockwerk.
    »So kleine Viecher!«
    »Ach du bist’s, Sally!« Ich war erleichtert. Dass meine Mutter nun übergeschnappt war und die Apokalypse im eigenen Bett erlebte, hätte die wenigen sicheren Koordinaten meines Lebens doch sehr verschoben.
    »Sally, du hast drei Katzen und einen Hund.«
    »Nein, nicht solche Viecher! So kleine schwarze Punkte. Sie sind überall im Bett! Was mache ich jetzt nur?«
    »Ganz ruhig, Sally. Setz dich in die Küche. Ich komme!«
    Ich schüttelte mir den Schlaf aus dem Grind, schlüpfte in Jeans, T-Shirt und meine Anglerweste mit der Überlebensausrüstung in den Taschen: Lampe, Messer, Pfeffer spray, Pick-Set zum Schlossöffnen und Kaugummi. Ci pión stand zerknautscht auf den Dielen und gähnte quietschend. Die Pflicht hatte ihn auf seine vier Kurzbei ne gestellt, aber nachts fühlte er sich klein. Mit gesenkter Rute trabte er vor mir her an den Hauswänden entlang. Die Schaufenster waren schwarz, auf dem Hochbahnsteig am Stöckach befand sich keine Seele, auf der gegenüberliegenden Seite hielten Staatsanwaltschaft und Rotes Kreuz hell erleuchtet Wache. Die Garagenausfahrt für die Rettungswagen blähte die Backen. Aber nichts kam her aus. Um diese Zeit fuhr keine Stadtbahn, die Ampelanla ge veranstaltete ihr Lichttheater für nichts und niemanden, und nicht einmal die Amsel von den Satellitenschüsseln auf der Staatsanwaltschaft hatte angefangen zu pfeifen und zu schnalzen. Es war der Augenblick, in dem die Stadt anhielt, den Motor ausstellte und Pause machte, vielleicht ein Zigarettchen rauchte oder sich die Beine vertrat und in den Sternenhimmel hinaufblickte und über die Endlichkeit des Lebens nachdachte, bevor es wieder losging mit dem Tagesgebrumm. Der Partyheimkehrer, dem es gelang, genau diesen Moment zu erwischen, nahm ein unerklärliches Glücksgefühl in seine nächsten Tage und Wochen mit.
    In seltener Einigkeit mit mir selbst eilte ich an der Friedenskirche vorbei die Urbanstraße empor. Sally zitterte im Nachthemd im Treppenhaus vor ihrer Wohnungstür. Sie hatte die alte Schäferhündin Senta an sich gedrückt. Zwei ihrer drei Katzen hatte sie retten können.
    »Und nicht dass du mich für total bescheuert hältst!«, bibberte sie. »Es sind keine Hundeflöhe! Senta hat ein Flohhalsband, und Katzen haben keine Flöhe.«
    »Alles klar! Die Viecher sind im Schlafzimmer, ja?«
    Sally nickte. »Willst du da wirklich rein?«
    »Wenn du mir den Schlüssel gibst.«
    Panik stand in ihren Augen. »Den Schlüssel? Den ha be ich, glaube ich, irgendwo … ich weiß nicht. Tut mir leid, dass ich dich da mit reinziehe, aber wenn du das gesehen hättest …«
    »Ganz ruhig, Sally. Punktförmige Viecher töten meistens nicht sofort. Was hast’n da in der Hand?«
    Sally war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie überhaupt noch eine Hand besaß. Vorsichtig zog ich ihre verkrampften Finger auf und nahm einen warmen Schlüssel heraus.
    Cipión trabte mutig voraus. In der ganzen Wohnung brannte

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