Malefizkrott
artig, ob sie hereinkommen dürften, ließen sich von Ci pión die Hosenbeine abschnüffeln, klärten mich über meine Rechte auf, als Beschuldigte nur Angaben zur Person machen zu müssen, und hielten mir dann vor, mit meinem Fahrzeug am vergangenen Donnerstag entgegen der Fahrtrichtung auf der B 27 bei Kirchentellinsfurt unterwegs gewesen zu sein. Sie schienen nicht viel Hoffnung zu haben, dass ich das zugeben werde, und räumten ungefragt ein, dass man aufgrund von Zeugenaussagen die Halter älterer Porsches abklappere.
»Ich war am Donnerstag in der Tat unterwegs nach Tübingen«, erklärte ich freundlich. »Ich bin mit der Autorin Lola Schrader zu einer Lesung gefahren.«
»Wann war das?«
Ich überlegte. »Losgefahren sind wir so gegen Viertel nach sechs, halb sieben. Die Lesung sollte halb acht beginnen, wir waren deutlich früher da, vielleicht zehn nach sieben.«
Ich sah den Gesichtern an, dass sich das nicht mit den Angaben der Zeugen zum Zeitpunkt meiner Geisterfahrt deckte, was sie völlig leidenschaftslos wegsteckten. Ob sie mal mein Fahrzeug sehen könnten, wenn sie schon hier seien?
»Das steht in einer Garage in der Riekestraße«, sagte ich.
Das machte ihnen nichts aus. Sie warteten im Salon, während ich mich im Badezimmer anzog. Da Cipión ohnehin rausmusste, nahm ich ihn mit. Eskortiert von zwei Uniformierten, was in dieser Gegend niemanden an Freund und Helfer denken ließ, begab ich mich mit Cipi ón an der Leine über die Hackstraße in die nächste Seitenstraße, wo Brontë – mit Vornamen Charlotte – beim Freien Radio Stuttgart in ihrer Garage döste. Die Polizisten leuchteten Reifen und Kotflügel ab.Grandiose Geste! Wirkte es doch, als könnten sie an Kot und Kieselchen erkennen, ob der Wagen die Lücke in den Leitplanken durchquert hatte, und als gäbe es am Baggersee endemisch vorkommenden Löwenzahn oder Ameisen, die sich im Reifenprofil festgesetzt hatten.
»Schönes Teil«, bemerkte der älter der beiden Silbersterne, während der andere Fotos machte, ins Auto schaute und mit dem Navi in der Hand wieder herauskam.
»Haben Sie den benutzt bei der fraglichen Fahrt?«
»Nein. Ich kannte den Weg.«
»Darf ich mir die letzten Ziele mal anschauen?«
Ich nickte.
»Was macht der so? 180?«, fragte unterdessen der Ältere. »Und sogar eine Umweltplakette haben Sie. Sauber!«
Schließlich schauten die beiden sich kopfschüttelnd an. Ich bekam den Navi zurück. »Dann schönen Tag noch.«
»Danke, werde ich nicht haben.«
Für den Nachmittag war ein Treffen bei Staatsanwältin Meisner angesetzt, und ich klapperte hektisch und mit Hilfe vieler Tassen Kaffee und noch mehr Zigaretten an meinem Bericht herum. Alles dürftig, fantastisch und doof. Durs Ursprungs Schrei nach Socken war doch kein Grund, ihn zwei Minuten später zu erschießen. Nichts hing wirklich zwingend miteinander zusammen. Den Verkäufer von Magnus Villing hätte ich eigentlich auch noch mal besuchen müssen. Aber wenn er der Polizei auch nichts gesagt hatte, dann hatte der Schütze doch wohl nicht mit der Waffe in der Hand hinterm Ladentisch gehockt und ihn bedroht, als ich hineinstürmte.
Womöglich kam der Bericht mir auch deshalb so al bern vor, weil er Richards Geschichte von der Entdeckung des Buchs mit dem Einschussloch nicht enthielt. Konnte es wirklich Zufall gewesen sein, dass Ursprungs Buchhandlung eine Stunde nach der Entdeckung abbrannte? Zwei umwälzende Ereignisse an einem Abend? Der linke Geist von Stuttgart verbrannte, und ein Buch tauchte aus der Asche auf, das schundromansentimental und zynisch zwei deutsche Revolten dokumentierte und noch immer mindestens einer Person in Deutschland gefährlich wer den konnte. Nein, halt! Das Buch allein konnte niemandem schaden. Das konnten nur die Erinnerungen Richards, die mit ihm verknüpft waren.
Mit Kopien meines Berichts und meines Filmmaterials begab ich mich zur festgesetzten Stunde über die Straße zur Stuttgarter Staatsanwaltschaft.
Meisner hatte anders als Richard ein großes helles Bü ro im rückwärtigen neuen Teil mit leichtfüßigem Schreibtisch, heiteren grauen Containern und einem ovalen Konferenztisch mit weichen Stühlen. Auch wenn man, um dorthin zu kommen, sich die Schienbeine an Kisten mit Akten anstieß, die in Umzugskartons einer sackartigen Ecke des Gangs standen. Im Zimmer herrschte entspann tes Halbchaos. Der Kaffee wurde von blutjungen Mädchen aus dem Geschäftszimmer hereingebracht.
Kriminaloberrat Dr. Xaver Finkbeiner
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