Malefizkrott
setzte die Tasse ab, »dass in dem Buch ein Projektil vom Kaliber der damals gängigen Polizeipistolen gesteckt hat. Aber das Projektil selbst kann ich nicht vorweisen zum ballistischen Vergleich mit dem, welches im Kopf von Benno Ohnesorg steckte. Den Be weis, dass dieser Hansel und kein anderer mir in den Rü cken geschossen hat, kann ich nicht antreten.«
»Aber du kannst eine Geschichte erzählen, die niemand ernsthaft in Zweifel ziehen wird.«
»Außer dem Anwalt des Beschuldigten. Und ohne … ohne Maries Aussage ist meine nicht viel wert. Ich habe den Schuss auf Ohnesorg nicht gesehen, ich habe nicht gesehen, wie der Beschuldigte den Arm nach dem Schuss auf mich herumschwenkte und dem armen Studenten ins Genick schoss.«
»Aber vielleicht würde Marie heute anders darüber denken und ebenfalls aussagen.«
Richard schüttelte den Kopf.
»Warum bist du dir so sicher? Was hätte sie zu befürchten? Heute, im neuen Jahrtausend. Oh! Verstehe.« Ich musste lachen. »Sie ist jetzt in einer Position, wo es ihr schaden würde, wenn man ihr vorhält, sie hätte nichts getan, um den, der Ohnesorg erschossen hat, des Mordes zu überführen.«
Der Staatsanwalt mir gegenüber blinzelte nicht.
»Man wird es herausfinden, Richard. Sie steht in den Akten der Berliner Polizei. Du übrigens auch!«
»Nicht mit meinem heutigen Namen {14} .«
»Auch wenn Marie geheiratet hat, werden die Fahnder auf sie kommen, und zwar über die Adresse in Tübingen.«
»Die eines Wohnheims, das heute nicht mehr existiert? Zumal sich die Ermittler nach Aktenlage von ihrer Aussage nicht wirklich etwas versprechen können. Falls diese Akten überhaupt je existiert haben und falls sie jemals den Ermittlungsakten über den Fall Ohnesorg zugeführt wurden. Die Polizei hatte damals ja eher ein Interesse daran, unliebsame Zeugenaussagen zu unterschlagen. Nein, ich halte es sogar für extrem unwahrscheinlich, dass über Marie und mich tatsächlich irgendwelche Unterlagen existieren.«
»Aber wenn erst die Journalisten anfangen zu recherchieren!«
»Welche Journalisten sollten das denn sein, Lisa?«
18
In der folgenden Woche zogen die anderen großen Zeitungen nach. »Authentisch in ihrer Beschädigung und unerträglichen Altklugheit«, hieß es in der FAZ. »So in die Fresse hat schon lange keine mehr geschrieben«, meinte die taz. Und die Zeit verkündete: »Ein Mädchen ertrinkt im Strudel aus Toleranz und Indifferenz in seinem durchreflektierten Irrsinn.« {15}
Montagabend rief mich Rudolf Wagenburg an und grummelte: »Scheiße! Hätt ich mal gleich über diese Lo lita geschrieben, dann hätte ich sie entdeckt. Jetzt kann ich nur noch nachklappen. Warum hast du mir keinen Tipp gegeben?«
»Bin ich der Fachmann für Fräuleinwunder oder du? Aber ich gebe dir jetzt einen Tipp: Rede mal mit Matthi as Kern. Das ist der Schwerverletzte.«
»Ich weiß. Der Mann ist mir als Kollege und als Blogger bekannt, schreibt Lyrik und unlesbares Zeug auf der BDMS-Schiene. Vor ein oder zwei Jahren hat er auch mal ein Buch veröffentlicht, grottenschlecht und absolut erfolglos.«
Dienstag brachte ich mit Sally auf dem Dach von Brontë – an den Namen Charlotte musste ich mich erst noch gewöhnen – die vergiftete Matratze zur Müllverbrennung und rief Manuela Kantor in ihrem Buchladen an. Sie lebte noch und war ganz munter. Ich erzählte ihr, dass ich inzwischen von anderer Seite wüsste, dass das fragliche Buch bei Küfer gebunden worden sei, dass ich aber kommende Woche wohl noch einmal bei ihr vorbeischauen würde, um ihr das Buch zu zeigen.
»Jederzeit«, antwortete sie. »Haben Sie die Besprechungen von Schrader in der FAZ und der Zeit gesehen? So falsch lagen wir also nicht. Übrigens haben sich zwei Frauen bei mir beschwert über die Lesung und mir fast die Treue aufgekündigt. Denen hat Schrader nicht gefallen.«
»Passiert das eigentlich gelegentlich mal, dass jemand was gegen Ihr Schaufenster wirft?«
»Das ist schon vorgekommen, warum?« Ich erklärte ihr die Sache mit der toten Taube. »Gruselig«, bemerkte sie. »Es hat so was Kindisches und zugleich Gnadenloses.«
Am Nachmittag mailte mir Karin Becker ein spannendes Dossier über neun Brände, die in Bibliotheken und Buchläden rund um Stuttgart in den vergangenen sechs Monaten die Feuerwehr auf den Plan gerufen hatten.
Am Mittwoch klingelten mich zwei uniformierte Kommissare vom Revier Ostendstraße zu nachtschlafender Zeit, also gegen halb elf, aus dem Bett. Sie fragten
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