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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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andere auch, und das Buch … das hätte ich als Beweismittel nicht vorlegen können, das hatte ich Marie versprochen. Es bestand bei Gericht auch niemals Unklarheit darüber, dass dieser Mann zu Unrecht geschossen hatte. Er selbst erzählte irgendeinen Schafscheiß, er sei bedroht worden, er habe sich retten müssen. Es war allen klar, dass er log. Aber in dubio pro reo. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass er vor Angst halb irre gewesen war und die Situation völlig falsch eingeschätzt hatte.«
    »Aber gerade du hättest beweisen können, dass es Mord war.«
    Richard seufzte. »Womöglich, aber …«
    »Was war Mord?«, fragte Sally, als sie mein Pils mit dem Schnaps brachte und Richard den Kaffee hinstellte, schön dekoriert mit Kekschen, Zuckertüte und Milchdöschen.
    »Der Tod von Benno Ohnesorg«, antwortete ich.
    »War das nicht so ein Stasi-Typ, der ihn erschossen hat? Ich habe kürzlich einen Bericht im Fernsehen gesehen.«
    »Richtig«, sagte Richard. »Die Stasiunterlagenbehörde hat vor einigen Jahren seine Verpflichtungserklärung gefunden; Der Mann war von Jugend an ein Waffennarr gewesen. Wegen unerlaubten Waffenbesitzes ist er erst kürzlich wieder zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Deswegen saß er auch gleich nach dem Krieg im Speziallager Nummer 7 Sachsenhausen.«
    »Was, in dem KZ?«, rief Sally.
    »In der Tat. Die sowjetische Militärverwaltung nutzte die Gebäude des KZs für Leute, die man ohne Gerichtsurteil wegsperren wollte. In der DDR hat man diesen schießwütigen Irren dann offenbar nicht haben wollen. Man überzeugte ihn, sich in Westberlin bei der Polizei einzugliedern, um DDR-Spione vor der Enttarnung zu warnen und Bericht zu erstatten. Dass er Benno Ohnesorg im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit erschossen hat, kann ich mir jedoch nicht vorstellen. Destabilisierung war zwar ein beliebtes strategisches Ziel. Aber niemand konnte damals klaren Verstandes vorhersehen, dass sich aus dem Zorn über Ohnesorgs Tod und den Freispruch des Schützen die Bewegung 2. Juni und die RAF entwickeln würden, die, nebenbei bemerkt, die Bundesrepublik auch nicht destabilisieren konnten. Aber immerhin wird noch einmal gegen diesen Mann ermittelt, und zwar wegen Mordes an Ohnesorg und wegen Lan desverrats. Allerdings ist er über achtzig.«
    Richard nahm mit ruhiger Hand die Kaffeetasse, zog einen Schluck und lehnte sich zurück, als genieße er die italienische Bruthitze der Nacht, die über uns gefallen war. An einem der anderen Tische hatten inzwischen auch Leute Platz genommen. Deshalb begab sich Sally dorthin und verschwand mit der Bestellung im Lokal.
    Ich beugte mich vor. »Und«, fragte ich, »wirst du diesmal aussagen?«
    Während ich noch blöde fragte, ging mir schlagartig auf, warum er das Buch nicht hatte behalten wollen. Plötzlich konnte ich ihm die Erregung nachfühlen, die ihn erfasst hatte, als er es unerwartet – wenn auch nicht völlig unvermutet – wieder in Händen hielt, und warum er auf Kosten seiner eigenen Privatsphäre über das Loch auf der Rückseite hinweggeplaudert hatte, während er fieberhaft überlegte, was der Fund für ihn bedeutete. Be hielt er es, würde er es vorlegen und das Versprechen brechen müssen, das er Marie vor Jahrzehnten gegeben hatte. Das Prinzip Thalheim in ihm verlangte, dass er sich an ein Versprechen hielt. Doch der Geist unbestechlicher Rechtsstaatlichkeit, der heute in ihm herrschte, verlangte, dass er tat, was er konnte, um einen Mörder der gerechten Strafe zuzuführen. Wie willkommen ihm das Feuer gewesen sein musste, hatte ich nicht geahnt, als ich kürzlich schon einmal darüber nachdachte, welches Interesse er gehabt haben könnte, dass Ursprungs Buchladen abbrannte. Es hätte ihm den Widerstreit zwei er mächtiger Prinzipien erspart.
    Deshalb war er auch so erschrocken gewesen, als ich ihm zeigte, dass ich das Buch vor den Flammen gerettet hatte. Er hatte bis zu mir in die Wohnung hinauf gebraucht, um sich von dem Schock zu erholen und Nebelkerzen zu zünden. »Ja, es wäre interessant zu erfahren, wie es zustande gekommen ist«, hatte er kalt bemerkt und mich in eine fruchtlose Internetsuche nach Marie Küfer entlassen.
    »Du wirst also keine Aussage machen«, bemerkte ich.
    Er hielt die Kaffeetasse auf halber Höhe zwischen Untertasse und Mund und sah aus wie der reiche Fabrikantensohn mit Kontakten in allerhöchste Kreise, der er war.
    »Vielleicht könnte man zur Not heute noch nachweisen«, sagte er und

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