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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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war ein knarzi ger Alemanne aus der Gegend von Freiburg, groß, schlank, dunkelhaarig, wortkarg {16} . Er hatte in Stuttgart vor eini gen Jahren die Abteilung Operative Fallanalyse aufgebaut. Außerdem waren zugegen Kriminaloberkommissar Christoph Weininger, Bernd Möller, Leiter der Soko Walfisch, und eine knubbelige weibliche Figur, deren dienstliche Funktion mir unklar blieb. Sie sagte die ganzen anderthalb Stunden lang kein Wort. Finkbeiner schien nicht recht einzusehen, was die informelle Besprechung außer Zeitverschwendung bringen sollte, nahm meinen Bericht in gedruckter und auf CD gebrannter Form dann aber doch interessiert entgegen. Seine Fragen waren knapp: »Überwachungsfilme, wozu?« Antworten vermied er. Mit endlosem Schweigen hörte er sich meine mündlichen Ausführungen an, runzelte hin und wieder die Stirn, besonders als ich schilderte, dass die Drohbriefe offenbar von der Autorin und deren minderjährigem Freund verfasst worden waren, zog aber die Brauen hoch, als ich von der Taube erzählte. Dann lehnte er sich zurück und fragte: »Und was haben die Kindereien von Lola Schrader mit dem Tötungsdelikt zum Nachteil von Durs Ursprung zu tun? Deshalb sitzen wir doch hier.«
    Meisner bot ihm Kekse an, schenkte Kaffee nach und servierte ihm dazu ihre Einschätzung: »All diese Ereignisse scheinen auf schwer erklärbare Weise zusammenzuhängen. Bindeglied ist Durs Ursprung, der die Autorin zum ersten Mal eingeladen und dann seiner Kollegin von Thalestris in Tübingen empfohlen hat. Ursprungs Laden brennt ab, er wird in einer Buchhausfiliale erschossen, gegen die er immer gekämpft hat, gegen das Schaufenster von Thalestris fliegt eine tote Taube, was womöglich daraus zu erklären ist, dass der Täter keinen Zugang zum Laden hatte. Dass unsere Frau Nerz bei allen drei Ereignisse ebenfalls zugegen war, ist ein weiterer seltsamer Umstand, der …«
    »Ja, das wirkt eigenartig«, unterbrach Finkbeiner in seinem kehligen Alemannisch. »Aber das ist narrative Verzerrung.«
    »Sie sind ja in richtiger Literat, Herr Doktor!«, schmeichelte Meisner.
    Er deutete ein konziliantes Lächeln an. »Der Mensch kann nichts berichten, ohne zu interpretieren. Alles, was er sieht – umso mehr, wenn er es verbal darstellen soll –, interpretiert er automatisch als Teil des Systems von Beziehungen, in denen er lebt, und nach dem Prinzip, dass nichts geschieht, was nicht eine Bedeutung für ihn und seine Mitmenschen hätte. Schicksal nennt sich das in Herz-Schmerz-Romanen. Wir können nicht anders, unser Hirn zwingt uns dazu, überall Strukturen und Beziehungen zu erkennen. Für Romanciers eine sehr nützliche Fähigkeit, bei Zeugenaussagen schädlich.«
    Soso, jaja!
    Meisners Lächeln hing etwas verloren auf ihrem Gesicht.
    »Ich nenne ein Beispiel«, sagte Finkbeiner. »Es ist kaum möglich, die beiden Sätze: ›Erst starb Herr Greis‹ und ›Dann starb Frau Greis‹ nebeneinanderzusetzen. Wir interpretieren fast immer etwas hinein und sagen beispielsweise: ›Bald nach Herrn Greis starb aus Kummer auch Frau Greis.‹«
    »Mit anderen Worten«, interpretierte ich, »nicht einmal der Brand in der Buchhandlung Ursprung und der Mord am Buchhändler Ursprung müssten etwas miteinander zu tun haben.«
    Finkbeiners Augen blitzten ungläubig erfreut.
    »Aber seltsam ist es doch«, bemerkte Christoph Weininger, der mich schon lange kannte, »dass Ursprungs Laden abbrennt, als Lisa dort ist, und dass Ursprung erschossen wird, als Lisa wiederum zugegen ist.«
    Mir wurde flau. »Nein, an so etwas glaube ich nicht! Das ist doch ein … äh … Klischee aus dem Krimi. Ein perverser Killer tötet, um einen Ermittler herauszufordern, und macht weiter, um zu beweisen, dass er schlauer ist als der Ermittler.«
    »Ja«, sagte Finkbeiner. »Das ist ein Topos, der Zweikampf von Verbrecher und Ermittler. In Wirklichkeit sind Mehrfach- oder Serientäter meist durchschnittlich intelligent, sozial defizitär und handeln mit dem Ziel eines Lustgewinns, der außerhalb unserer Konventionen steht. Eine kommunikative Beziehung zu einem Dritten, etwa einem Kriminalbeamten, aufzubauen würde die Jagd nach Lustgewinn nur stören. Es geht ihnen ja nicht darum, als Verbrecher erkannt und anerkannt zu werden, sondern zu ihrer Befriedigung zu kommen, für die eine bestimmte Straftat Voraussetzung ist.«
    Christoph Weininger rieb die Hände auf seinen Oberschenkeln. Soko-Leiter Möller ließ sich demonstrativ nicht anmerken, was er von intellektuellen

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