Malenka
er nicht zwischen den Zähnen.« Er legte den Speck auf zwei Scheiben Schwarzbrot, gab eine dem Fahrer, brach von der anderen kleine Stücke ab und steckte sie Margot in den Mund. »Kauen«, befahl er. Sie tat, was er sagte, ohne zu merken, was sie tat und wie die Zeit verging, wie die Straßen wechselten und die Dunkelheit kam. Ein Niemandsland, aus dem sie erst heraustrat, als das Auto in einem Dorf hielt. Der Hauptmann sei drinnen beim Bürgermeister, sagte der Fahrer, sie würden hierbleiben über Nacht.
Ein Bauernhof, ein kleines Haus hinter den Scheunen. »Das Altenteil«, sagte die Frau, die ihnen eine Kanne Milch brachte und Holz. »Ist gerade leer geworden. Oben liegt Bettzeug.« Sie musterte Margot abschätzig. »Es sind zwei Kammern.«
Der Fahrer ging mit den Eimern zur Pumpe, füllte die Wassertöpfe auf dem Herd und das Schiff, während der Offizier Feuer machte.
»Setzen Sie Milch auf«, rief er Margot zu.
Die Küche war grün gestrichen, ein Tisch, Stühle, ein Schrank, hinter den Glasscheiben noch das Geschirr der letzten Bewohner, braun-blau geflecktes Bunzlauer, auch eine große Tasse mit einer Rose darauf und verblichenen Buchstaben: Für die Silberbraut. Margot goß Milch in einen Emailletopf und stellte ihn zum Wärmen an den Herdrand. Als das Wasser summte, kochte der Fahrer Tee. Auf dem Tisch lag Brot und Speck, die Männer sprachen miteinander, ihre Worte flogen an Margot vorbei. Aber die warme Milch war gut.
»Sie können sich hier in der Küche waschen«, sagte der Offizier. »Wir gehen zur Pumpe.«
Noch einmal Wasser an diesem Tag, heiße Rinnsale aus der Rosentasse über Rücken und Brust. Danach wusch sie ihren Schlüpfer, das Hemd, die Trainingshose, hängte alles zum Trocknen auf die Herdstange. Als sie nach der frischen Wäsche griff, fühlte sie Lores Tasche, und sie erinnerte sich an das Bild vom Nachmittag, den Mann, der vor ihrem Bündel kniete. Sie zog den Rock an, die gelbe Strickjacke, dann trug sie den Eimer mit Schmutzwasser vors Haus.
Der Mond hatte abgenommen, aber die Nacht war immer noch hell. Im Türrahmen lehnte der Offizier, und es geschah erst jetzt, daß sie ihn wirklich wahrnahm: kein junger Mann mehr, groß, hager, das Haar schon dünn oberhalb der Stirn. Dreiunddreißig Jahre, auch das wird sie bald wissen, die Falten kennenlernen, die sich zwischen Nase und Mund abzuzeichnen beginnen, mit den Fingerspitzen daran entlang tasten. Aber noch steht er an der Tür und blickt ihr entgegen. »Der Mond hat einen Hof«, sagt er.
Plötzlich fing sie an zu weinen, es fiel wie ein Krampf über sie her. Er brachte sie nach oben, und als sie immer noch weinte, legte er ihren Kopf an seine Schulter. »Ich habe es zuerst auch nicht begreifen können«, sagte er. »Vorbei, von einer Sekunde zur anderen. In drei Tagen muß ich wieder an die Front, vielleicht bin ich dann an der Reihe.«
»Das Leben ist nichts wert«, sagte sie. »Was so schnell kaputtgeht, ist nichts wert.«
»Es kann sehr schön sein.« Er strich ihr das feuchte Haar aus der Stirn. »Wie heißt du eigentlich?«
»Malenka«, sagte sie. »Nein, Margot.«
»Malenka.« Er küßte sie, seine Hände waren sanft und warm, und der Himmel mit dem Mond fiel durchs Fenster, und sie schwammen mit dem Mond auf der Nacht, bis er zerplatzte und in gelben Funken auseinanderstob. Dann kam die Kammer zurück, der Schattenriß seines Gesichts, sie glitt mit den Fingern darüber hin, und während sie in seinem Arm lag, unter den muffelnden Federbetten des Altenteils, kurz vor dem Schlaf, und von ihm hörte, wie er hieß, woher er kam, wohin er wollte, dachte sie, das sei die Liebe. »Ach Gott, Liebe«, hatte Frau Rudnik von der Pyritzer Bank geseufzt, wenn sie in den Mittagspausen ihre wechselnden Abenteuer zum besten gab, »du glaubst gar nicht, wie oft man sich verlieben kann, jedesmal anders«, und Anna Jarosch mit ihren Erfahrungen mißtraute dem Gefühl, »weil Verstand rutscht in Bauch, und siehst du weiße Pferd statt Esel«. Aber dies hier, in dieser Nacht, hatte den Tod vertrieben. Sie wollte es ihm sagen, zu spät, er schlief schon, und es war auch nicht so wichtig, wie sich zeigen sollte im nachhinein. Für den künftigen Lauf der Dinge zählte einzig Lore Möllers Tasche in Margots Bündel und für den Moment nur, daß er da war.
Es dämmerte, als sie den Hof wieder verließen und in Richtung Stendal fuhren, wo er sich melden mußte. Zwei Stunden noch. Sie saßen nebeneinander hinten im Wagen. »Das nächste
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