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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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geöffnet. Ihr Lächeln verschwand beim Anblick des Bündels. »Hier ist kein Platz mehr. Wir haben schon zwei Zimmer an Ausgebombte abgeben müssen.«
    »Ich heiße Margot Jarosch, ich möchte gern mit Herrn Kremer sprechen«, sagte Margot, und hätte das Halbdunkel im Treppenhaus nicht ihr Gesicht verschattet, wäre die Frau vielleicht stutzig geworden. So jedoch sagte sie nur: »Jarosch? Kennen wir nicht«, und wollte die Tür schließen.
    »Aber er!« rief Margot, stand schon in der Wohnung, und die Frau kreischte: »Robert! Robert!«
    »Es war grotesk«, pflegte Margot später diese Situation zu schildern, eine Geschichte ohne Stachel inzwischen, freigegeben für das Gelächter im Freundeskreis, »grotesk, wie mutig er heranstürmte, mit meiner Nase, meinen Backenknochen, und dann plötzlich die Vollbremsung.« Aber in dem Augenblick, als sie ihn wirklich auf sich zukommen sah, der Mann von dem Foto, hochgewachsen, schlank, sogar das Gesicht noch das gleiche unter den Altersschäden, konnte keine Rede sein von Erheiterung, und daß sie lächelte, geschah eher aus Unsicherheit: Hier bin ich, willst du mich haben? Hedwigs Lächeln, wie man weiß, und trotz der schlechten Beleuchtung schien ihn eine Erinnerung zu streifen, vage nur, nicht einzuordnen. Jedenfalls blieb er stehen, abrupt, mitten im Laufschritt, einer, der etwas sieht und sicher ist, daß er es kennt, nur nicht weiß, woher, von welchem Ort, aus welcher Zeit.
    »Wer sind Sie?«
    Margot nannte ihren Namen und sah, wie er erschrocken die Hand hob. »Hedwigs Tochter«, fügte Margot hinzu.
    »Was soll das denn alles«, sagte seine Frau irritiert, mit einem Griff nach Margots Arm, um sie wieder aus der Wohnung zu drängen. Margot stemmte sich dagegen, ein stummer Kampf, bis im Treppenhaus Stimmen und Schritte hörbar wurden.
    »Kommen Sie herein«, sagte Frau Kremer hastig und schlug die Tür zu.
    Margot legte das nasse Bündel hin.
    »Um Gottes willen, mein Parkett«, rief Frau Kremer, »wir gehen in die Küche.«
    »Ins Herrenzimmer«, sagte ihr Mann und nahm Margot Bündel und Mantel ab. Herrenzimmer, etwas, das Margot bisher nur aus Romanen geläufig war, ein gekachelter Rauchtisch, über dem Schreibtisch Adolf Hitler in schwarzem Rahmen, Polstersessel, Bücherschrank, ein Vater mit einem Herrenzimmer. Sie hatte Hunger, aber wenig Hoffnung, daß man ihr hier etwas zu essen geben würde.
    »Was wollen Sie von mir?« fragte Robert Kremer.
    Margot sah auf den Teppich, rote und blaue Ornamente, die ineinanderflossen unter ihrem Blick. Sie schämte sich, aber nun sollte er wenigstens wissen, warum sie gekommen war, dieser Vater, der Sie zu ihr sagte. »Meine Mutter und meine Großmutter sind tot, und in Pyritz die Russen, und ich...« Sie stockte, wußte nicht weiter. »Und ich habe gedacht...«
    »Was haben wir denn damit zu tun, Fräulein?« fiel die Frau ihr ins Wort. Sie sah so ordentlich aus, das graue Haar frisiert, die Bluse sorgsam gebügelt, auch auf dem Anzug des Mannes kein Stäubchen. »Wir erwarten Besuch«, sagte sie, und Margot holte das Schreiben aus der Tasche, die Anerkennung der Vaterschaft, ich, Robert Kremer, Hannover, Heinrichstraße.
    Frau Kremer begann zu lesen, den Arm von sich gestreckt, weitsichtig offenbar. »Großer Gott, Robert«, flüsterte sie und ließ das Blatt sinken, hob es aber gleich wieder vor die Augen und las alles noch einmal. »Das hast du getan? Etwas so Unglaubliches?« Fassungslos starrte sie auf ihren Mann, dann in Margots Gesicht. »Natürlich, sie sieht dir ja ähnlich. Belogen und betrogen...«
    Robert Kremer hockte mit hängenden Schultern da, die Hände zwischen die Knie gepreßt. »Das Schreiben nützt Ihnen gar nichts«, murmelte er mühsam. »Ich habe meine Pflichten Ihnen gegenüber erfüllt, Sie können keinerlei Ansprüche mehr an mich stellen.« Er dachte nach, hob dann entschlossen den Kopf. »Nach dem Gesetz sind wir nicht mal miteinander verwandt«, sagte er jetzt laut und deutlich, und Margot sah sich wieder in der Kleinen Wollweberstraße, sechs Jahre alt, das Mädchen mit der großen roten Schleife am Kleid, »Baster«, rief Doris Hoppe. Dieses Wort, das sich eingekapselt hatte über die Jahre, nun brach es auf.
    »Ich will auch gar nicht mit Ihnen verwandt sein«, sagte sie, wollte gehen, aber die Füße klebten auf dem Teppich.
    Frau Kremer beugte sich vor. »Möchten Sie vielleicht etwas zu trinken haben, Fräulein? Und wissen Sie überhaupt schon, wo Sie heute nacht bleiben?«
    Margot

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