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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Offiziere elegant, hochgewachsen und stöckchenschwingend die Hannoversche Welt, falls sie überhaupt hineingerieten, kühlen Blickes übersahen. Jedenfalls war dies der Eindruck, den sie bei der Bevölkerung zu erwecken verstanden, so daß Margot nur zögernd die Halle des Military Government am Misburger Damm betrat, ein langgestrecktes Klinkergebäude, ehemals Sitz des Generalkommandos der Wehrmacht.
    Hinter einer Art Barriere, der Reception, wie auf einem Schild zu lesen war, saß ein rundlicher Mann in Zivilkleidung, fünfunddreißig ungefähr, mit hellem Haar und schräggestellten Augen, deren Ausdruck Margot jetzt noch nicht zu deuten wußte: Konstantin Baranow, einst als Michail Kowalenko Lehrer für Deutsch und Englisch in Kiew, der sich jetzt aber mit einem falschen Namen tarnte, weil er in seiner Heimat, statt zu den Partisanen zu gehen, Dolmetscher bei den Deutschen geworden war, deshalb aus der Ukraine verschwinden mußte und nun vor Angst nicht mehr zur Ruhe kam. Ein trauriger Lebenslauf, den Engländern in dieser Form selbstverständlich so wenig bekannt wie der wirkliche Name. Vielmehr hatte sich Herr Baranow zum staatenlosen Emigranten aus der russischen Revolutionsära erklärt, sich auch die entsprechenden Papiere beschafft und war mit dieser Vita und seinen Sprachkenntnissen für die Militärregierung, wo unter dem geltenden Fraternisierungsverbot kein deutscher Bürger beschäftigt werden durfte, geradezu maßgeschneidert. »Es nützt nur nichts, ich kann trotzdem nicht schlafen«, wird er irgendwann zu Margot sagen. An diesem Vormittag jedoch fragte er sie so abweisend, wie er es aus Vorsicht allen deutschen Besuchern gegenüber tat: »Was wollen Sie, die Sprechstunde ist vorüber, können Sie nicht lesen?«
    Margot sah auf das Schild mit den Öffnungszeiten, dann auf den trotz seine Unfreundlichkeit harmlos wirkenden Mann, dessen Akzent sie zudem an Anna Jarosch erinnerte, und lächelte.
    »Es handelt sich nur um eine Auskunft, vielleicht würden Sie mir helfen?«
    Sie hatte sich sorgfältig angezogen für diesen Besuch, das blaugelb gestreifte Kleid, Rosa Klingbeils letztes Werk. Die Farben paßten zu ihren Augen und den Haaren, die jetzt fast bis zur Schulter fielen, frischgewaschene, luftige Wellen, und das Gesicht war etwas gebräunt wie immer im Sommer, ein Anblick, der Herrn Baranow außerordentlich behagte. Aber es fehlte ihm hinter seiner Barriere der Mut, an einem deutschen Lächeln Gefallen zu zeigen, und so machte er eine scheuchende Handbewegung: Er sei nicht zuständig und dürfe keinerlei Auskünfte geben, das Fräulein möge sich an die Zeiten halten, Sprechstunde Montag, Dienstag, Donnerstag von neun bis halb zwölf.
    »Ich will doch bloß...« begann Margot wieder, ihre Agatha Christie im Kopf. Er ließ sie jedoch nicht weitersprechen, auch nicht beim nächsten Anlauf, so daß sie schließlich rief: »Nun hören Sie mir doch wenigstens zu, ich will ja bloß wissen...«, und wurde diesmal von einem englischen Offizier unterbrochen. »What’s the matter?« fragte er Herrn Baranow.
    Margot, die bisher nur eine große schlanke Gestalt in Khakiuniform wahrgenommen hatte, hob den Kopf und blickte in das Gesicht von Major Hollet, Sir William Hollet, zuständig für das Department Culture and Education, obwohl er, wie von ihm selbst zu hören war, weder von dem einen noch dem anderen das geringste verstand. »I can’t even spell«, pflegte er zu verkünden, ebenfalls ohne Scheu, und Margot wird noch Gelegenheit bekommen, sich über seine orthographischen Eskapaden zu wundem. Aber das liegt in der Zukunft, wenn auch nicht mehr allzufern. »What’s the matter?« fragte er erst einmal, worauf Herr Baranow sich erhob und in seinem vorzüglichen Englisch - »that guy speaks my language much better than I do«, pflegte Major Hollet sich zu wundern - meldete, diese Frau wolle offenbar nicht verstehen, daß zur Zeit keine Sprechstunde stattfände, jedenfalls seien seine Anstrengungen, sie zu entfernen, vergeblich gewesen.
    »What does the girl want?« fragte Major Hollet, den sinnenden Blick auf Margot gerichtet, von oben herab, denn trotz ihrer Größe überragte er sie um ein beträchtliches.
    »Weshalb sind Sie hergekommen?« Herr Baranow wollte dolmetschen, doch Margot, sorgfältig vorbereitet für dieses Interview, antwortete dem Major direkt: Agatha Christie also, die sie nirgendwo in Hannover auftreiben könne, aber dringend benötige für ein künftiges Studium, und ob die

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