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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Vorschlag, sich in sein Personal einzureihen - my handselected staff! -, hatte Colonel Hollet, Major Hollet damals noch, Margot ausgerechnet an dem Tag gemacht, als eine kurze Ankündigung in der Zeitung erschienen war: Die Einschreibungen für das Wintersemester 1945/46 an der Georg-August-Universität beginnen am 5. Oktober.
    Von Pastor Schaper rot umrandet, lag die Notiz morgens neben Margots Frühstücksteller, genau eine Woche vor dem Einschreibtermin, und sie hatte nur deshalb noch einmal Major Hollet aufgesucht, um das letzte Buch zurückzubringen.
    »Ein anderes brauche ich nicht mehr«, sagte sie. »Und nach Iffenhausen kann ich nicht gehen, sorry, ich will studieren.«
    Major Hollets Kindergesicht verdunkelte sich. »No, Maggie, you can’t do that, I want you as my secretary.«
    »Sekretärin? Ich?« Sie hatte sich einen untergeordneten Posten vorgestellt, in der Registratur vielleicht, allenfalls Schreibarbeiten. »Mit meinem Englisch? Und Steno kann ich auch nicht.«
    Major Hollet saß stumm da.
    »No shorthand«, wiederholte Margot, aber das machte keinen Eindruck auf ihn, er habe ohnehin die Gewohnheit, seine Briefe mit der Hand zu entwerfen, und was ihr Englisch beträfe, so sei es schon viel besser geworden, gut genug für den Anfang.
    Es stimmte, Margot hatte rasche Fortschritte gemacht, nicht nur dank Wiethes Methode, sich von einem Buch zum anderen zu lesen und, vom Inhalt weitergetragen, unmerklich Vokabeln, Grammatik, Redewendungen zu speichern, sondern auch durch die häufigen Gespräche in Major Hollets Büro, von denen sie im übrigen nicht ganz begriff, aus welchem Grund sie stattfanden. Das Interesse des Majors nämlich, und irgendein Interesse mußte es geben, weshalb sonst ließ er sie nach jedem Buch wiederkommen, zeigte sich auf so merkwürdige Weise, daß man wiederum kaum von Interesse reden konnte, schon gar nicht in der Art, wie Herr Baranow es einmal vorsichtig zu formulieren versuchte: »Sicher kann der Major nicht umhin, gewisse Regungen in Ihrer Gegenwart zu empfinden«, ein Verdacht, der Margot zum Lachen brachte. Verliebt? Nein, ganz gewiß nicht, er sehe sie an wie eine Schaufensterpuppe, rede auch so mit ihr, und falls es sich überhaupt um etwas handele, dann um Hilfsbereitschaft.
    In der Tat waren es seltsame Gespräche, die Major Hollet unter dem Bild von King George, den sinnenden und gleichzeitig abwesenden Blick auf Margot gerichtet, mit ihr führte. Als kurbele er ein Grammophon an, kam es ihr vor, um irgendeine Platte ablaufen zu lassen, ganz gleich welche. So verlangte er zur Eröffnung meistens den Inhalt des letzten Buches zu hören, pflegte dann jedoch ihren Bericht alsbald mit einer gänzlich aus dem Blauen geholten Frage zu unterbrechen: Was sie beispielsweise von der olympischen Idee halte, welche Gesichtspunkte dafür, welche dagegen sprächen oder auch ob sie die Vorteile der republikanischen Staatsform über die von Monarchien stelle, wieso, und wenn nicht, mit welcher Begründung, wobei es ebensogut um Nero und die Christenverfolgung gehen konnte wie um den Nutzen der Fliegerei oder das Für und Wider der vegetarischen Ernährung. Reden um des Redens willen also, wie in einem Debattierklub. »Und es ist mir ja egal, Hauptsache Englisch«, hatte Margot zu Herrn Baranow gesagt, »nur, warum macht der Major das?«
    Sprachtraining, jetzt wußte sie es. Vorbereitungen, die er in stiller Beharrlichkeit getroffen hatte.
    »Please, Maggie«, sagte er und sie solle doch wenigstens bis zum Frühjahr mit nach Iffenhausen kommen.
    Margot stand vor dem Schreibtisch so wie immer, noch nie hatte er ihr einen Stuhl angeboten.
    »Weshalb ausgerechnet ich?« fragte sie. »Sie finden bestimmt eine viel bessere Sekretärin.«
    »No.« Major Hollet schüttelte den Kopf, vehement geradezu, und erklärte, daß er heikel sei mit Menschen und längst nicht jeden in seiner Nähe ertrage, doch mit ihr sei das anders.
    »You are so clean and fresh«, sagte er. »It’s nice to look at you.«
    Er sprach vollkommen ernsthaft, ohne jede Spur einer erotischen Offerte, nur dies: Es macht mir Freude, Sie anzusehen, Sie sind so frisch, so sauber, eine aseptische Feststellung, die Margot nicht einmal in Verlegenheit brachte. »Vielleicht können Sie sich ein hübsches Bild an die Wand hängen«, sagte sie lachend und wies die Arbeit, denn um Arbeit handelte es sich, und Bürostellen gab es sonst kaum, so voreilig zurück, als hätte sie nie von ihrer Großmutter gelernt, wie unklug es sei,

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