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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Militärregierung ihr helfen würde.
    »Agatha Christie, indeed?« Major Hollet sah sie immer noch sinnend an, ein Kindergesicht, fand Margot, was an der leicht nach oben gebogenen Nase liegen konnte, vielleicht auch an der runden Stirn unter sich schon lichtenden Haaren oder dem fast dunkelblauen Blick. Schweigend standen sie da, der Major, Herr Baranow, Margot, bis ein anderer Offizier vorüberlief.
    »I say, Bob«, rief Major Hollet ihm zu, »she wants Agatha Christie, do you think we could get some?«
    »The girl?« fragte der Offizier.
    Major Hollet nickte.
    »Is she German?«
    »No, Swedish«, erklärte Major Hollet zu Margots Verblüffung. Sie wollte protestieren, kam jedoch nicht dazu, man werde sehen, was sich tun ließe, sagte Major Hollet, und übermorgen solle sie wieder nachfragen.
    Dann eilte er die Treppe hinauf, den Rücken gebeugt, als fürchte er, überall anzustoßen, und Margot sagte: »Ich bin doch keine Schwedin, was soll denn das?«
    Herr Baranow, jetzt wagte er es, betrachtete sie wohlgefällig und zuckte mit den Schultern. »Wenn Major Hollet sagt, sie seien Schwedin, dann sind Sie es auch«, eine verschlüsselte Mitteilung, deren Sinn Margot ebenfalls erst nach einiger Zeit aufgehen sollte. »Ein intuitiver Mensch. Alter Adel, wissen Sie.« Er griff nach seiner Besucherliste. »Ihr Name bitte. Und die Adresse.«
    Margot brachte es immer noch nicht fertig, auf diese Frage spontan zu antworten, jedesmal wieder ein Stocken zwischen Mar- und gret. Herr Baranow, empfindlich für solche Zwischentöne, stutzte einen Moment.
    »Margret Möller, Bödeckerstraße«, wiederholte er, »aber Sie stammen nicht aus Hannover?«
    »Aus Pommern. Ich bin Flüchtling.«
    »Flüchtlinge. Immer nur Flüchtlinge.« Herr Baranow klappte sein Buch zu und begann, mit dem rechten Daumen die Warze am linken Handballen aufzukratzen, eine Gewohnheit, gegen die er vergeblich ankämpfte. »Sind Sie wenigstens einigermaßen gut untergekommen? Sie glauben nicht, was für ein Elend man sich an meinem Platz anzuhören gezwungen ist«, sagte er in der gleichen umständlichen Gewähltheit wie vorher bei den englischen Sätzen. »Man möchte helfen, auch die britischen Offiziere möchten es, durchaus gutwillige Herren zum überwiegenden Teil, aber wo gibt es genügend Stroh, um diese Unzahl von Löchern zu stopfen?«
    Er sah Margot an, als erwarte er eine Lösung, das runde, um die Augen herum schon erschlaffende Gesicht überquellend von slawischer Trauer, und Margot erkundigte sich, wo er herstamme. »Doch nicht aus Deutschland?«
    »Nicht direkt.« Herr Baranow drückte das Taschentuch auf die blutende Stelle, und Margot wunderte sich über die Dringlichkeit, mit der er versicherte, daß er schon als Kind hierhergekommen sei, deutsche Schulen, deutsche Freunde. Nur die Eltern natürlich hätten russisch gesprochen, daher der Akzent. »Die deutsche und die slawische Grammatik sind außerordentlich verschieden, wissen Sie.«
    »Das macht doch nichts, es klingt hübsch«, sagte sie, und Herr Baranow drückte zum Abschied ihre Hand, konnte gar nicht aufhören damit, und zwei Tage später begrüßte er sie wie eine alte Bekannte.
    Es war Sprechstundenzeit diesmal und die Halle voller wartender Menschen. Einige von ihnen wollten zu dem Major, erklärte Herr Baranow, aber er habe den Auftrag, Fräulein Möller sofort in das Büro zu führen.
    Major Hollet, die Arme auf den Schreibtisch gestützt, sah ihr entgegen. Margot blieb an der Tür stehen, eingeschüchtert durch den imposanten Raum, überhohe Fenster, eine gewaltige Sesselgarnitur aus Leder und an der Wand King George im Krönungsornat.
    »Well, the Swedish girl, come here, a nice room, isn’t it«, sagte Major Hollet, ein hübsches Zimmer, früher habe es einem deutschen General gehört, sicher ein exakter Mensch, alles sehr ordentlich hinterlassen, überhaupt bemerkenswert, die Deutschen, selbst im Chaos blieben sie ordentlich. Er sprach ernsthaft, gänzlich ohne Ironie, auch das gab ihm etwas Kindliches. »Quite all right, very cooperative, the Germans.«
    Er nickte versonnen, rieb am linken Nasenloch, fuhr dann mit dem Finger hinein und begann, Kügelchen zu drehen, die er selbstvergessen vom Daumen schnippte. Margot wandte erschrocken den Kopf ab, der Major jedoch, ohne jede Spur von Verlegenheit, wies mit der freien Hand auf das Fensterbrett, wo ein Stapel Bücher lag: Agatha Christie, aus der Offiziersmesse, zwei davon könne sie mitnehmen und den Rest nach und nach

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