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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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den Vogelbeerbäumen vor dem Fenster wahrnahm, den rot und reif werdenden Früchten, den früh vergilbenden Blättern.
    Die Zeit nach dem Essen allerdings gehörte Frau Schaper und ihrem nie endenden Dienst am Nächsten, schwierig, obwohl sie sich um Verständnis bemühte für das, was sie im Ärger gelegentlich immer noch »Margrets Eigensucht« nannte. Und obwohl sie abends immer wieder mit einem Glas Milch an der Tür erschien, konnte sie es sich tags darauf nicht versagen, spitze Bemerkungen zu machen wie »nun mal ein bißchen fix, Sie haben sich doch den ganzen Vormittag ausgeruht«.
    »Sie meint es nicht so, das wissen wir doch«, begütigte Pastor Schaper, als er erfuhr, warum Margots Lächeln rarer wurde, wies auf den Kummer seiner Frau um den verlorenen Sohn Johannes hin, und ihr Herz sei ganz gewiß aus Gold. Doch was nützte ein goldenes Herz, wenn aus dem Mund Kröten sprangen. Ein Zimmer, dachte Margot, das wirklich mir gehört, lachhaft geradezu, solche Wünsche in dem zerstörten Hannover, kein freier Raum, alle Häuser überfüllt, selbst die Keller und Speicher, jedes bewohnbare Loch zwischen den Ruinen. Warten, mehr blieb nicht, warten, daß sich wieder eine Universität öffnete als Fluchtort aus dem Pfarrhaus, wo es noch einen weiteren Grund gab für das Unbehagen: den Ingenieur Kremer aus der Heinrichstraße, der Margot Jarosch kannte und von Margret Möller nichts wissen durfte.
    Die Sorge, ihm zu begegnen, schien keineswegs aus der Luft gegriffen, denn neuerdings begann er beim Gottesdienst aufzutauchen, einer von denen, die in der Hitlerzeit aus der Kirche ausgetreten waren und nun wieder mit gefalteten Händen dasaßen, in den vorderen Bänken möglichst, um anstelle von »Die Fahne hoch« lauthals »Ein feste Burg ist unser Gott« zu singen. Schon zweimal hatte Margot sich vor ihm hinter eine Säule retten müssen, und von da an vermied sie es, sonntags zur Kirche zu gehen, was wiederum Pastor Schaper kränkte. Doch als dann Robert Kremer im Pfarrhaus vorsprach und dabei Margot begegnete, zeigte sich, daß die ganze Furcht nicht nötig gewesen war.
    Obwohl die Entnazifizierung offiziell noch nicht begonnen hatte, kamen jetzt immer häufiger ehemalige Parteigenossen zu Pastor Schaper mit dem Ansinnen, ihnen ihre Christlichkeit schriftlich zu bestätigen, selbst wenn sie gerade erst in den Schoß der Kirche zurückgekehrt waren. »So viele gute Christen wie unter Hitler hat es noch nie gegeben«, erboste sich der Pastor, »lauter getarnte Streiter Gottes, möchte man meinen.«
    Dennoch hatte er sich eigens eine Schreibmaschine geliehen, um diesen Attesten den geforderten amtlichen Anstrich zu geben, im Vertrauen auf Margot, der unvorsichtigerweise die Bemerkung entschlüpft war, daß sie tippen könne.
    »Das übliche«, sagte er mürrisch, wenn wieder so ein Zeugnis fällig war, und Margot schrieb: »Hiermit bestätige ich, daß Herr XY zu meiner Gemeinde gehört und in den vergangenen Jahren stets eine christliche Gesinnung gezeigt hat«, und falls jemand ein Adjektiv verlangte, untadelig, unverbrüchlich, unbeugsam oder dergleichen, kam es auch noch hinein.
    »Stimmt das denn?« hatte Margot beim ersten Mal gefragt.
    »Nein«, sagte er. »Und warum machen Sie es dann?«
    Pastor Schaper seufzte. Er seufzte jetzt noch häufiger als früher, Ausdruck seines Zweifels, seiner Milde, seiner Gottesfurcht und Menschenliebe, allen Anfechtungen zum Trotz. »Was bleibt einem übrig? Die meisten sind doch nur wegen irgendeines Vorteils in die Partei gegangen. Soll ich denen die Zukunft verbauen? >Nicht zu richten bin ich gekommen^ sagt der Herr.«
    Margot dachte an Emil Dobbertin und seinen Käse, dachte auch an Patschek und die brennende Synagoge und an David Mossel, den Freund ihrer Großmutter, wie er auf der Straße vor seinem Laden herumgekrochen war, einer von den Toten nun vielleicht aus den Konzentrationslagern, von denen sie erst in diesem Sommer etwas gehört hatte, ungläubig, wer sollte so etwas fassen. Pyritz, hätte sie gern gesagt, damals in Pyritz. Doch sie mußte schweigen, nicht einmal von Dr. Möller konnte sie sprechen, dem Vater, den sie übernommen hatte mit einem falschen Tod, weil sie es nicht über sich brachte, seinen wirklichen für sich nutzbar zu machen. Obwohl es jetzt günstig gewesen wäre mit einem solchen Vater und die Welt eigentlich auch wissen sollte, auf welche Weise er gestorben war.
    »Sie haben so oft von Buße gepredigt«, sagte sie nur. Pastor Schaper seufzte

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