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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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unklug und gefährlich, nach der Taube auf dem Dach zu schielen. Oder, in Anna Jaroschs Sprache: »Wenn kein fette Acker, Malenka, mußt du nehmen Stück Land mit Steine, schwere Brot besser als leere Magen.« Warum auch sollte sie sich daran erinnern, so sicher, wie das Studium ihr schien. Alles war getan, und darauf, glaubte sie, käme es an.
    Göttingen, das gelobte Land. Die Fahrt dorthin, in einem der wenigen Züge, die über das schadhafte Streckennetz von der Kabeljauküste nach Süden krochen, dauerte endlos, das Abteil war überfüllt, Hamsterer hauptsächlich und Schwarzhändler, jeder so in den anderen verkeilt, daß Margot nicht einmal ihr Taschentuch herausholen konnte. Es stank nach Fisch, aus einem umgekippten Eimer im Gepäcknetz lief Heringslake, und weder der Eigentümer noch das Opfer, eine kreischende Frau, der die Brühe auf den Mantel tropfte, vermochten etwas dagegen zu tun.
    Am Göttinger Bahnhof erfragte Margot sich den Weg zur Universitätsverwaltung, wurde in die Aula am Wilhelmsplatz geschickt und von dort zum Dekanat der Philosophischen Fakultät, Theaterstraße 14, erster Stock, wo die Immatrikulation stattfand. Aula, Dekanat, Fakultät. Magische Worte, sprich sie aus, und das Tor öffnet sich. Die Stadt, glaubte Margot, gehörte schon ihr, glaubte es auch noch, als sie sich mit der Schlange der vielen Bewerber die Treppe hinaufschob, ehemalige Soldaten die meisten, viele noch in ihren alten Uniformjacken.
    »Mein liebes Fräulein Möller«, sagte der Dekan, ein äußerst magerer, hungrig aussehender Herr, Ordinarius für Kunstgeschichte, bei dem sie sich später in einer Vorlesung über »Caspar David Friedrich und die Maler der Romantik« langweilen sollte, »vorerst stehen nur wenige Studienplätze zur Verfügung. Sollen wir die nicht unseren Frontkämpfern überlassen?«
    Sie sei Flüchtling, führte Margot dagegen ins Feld, ohne Eltern, auch ihr hätte der Krieg alles weggenommen.
    »Aber nicht so viele unwiederbringliche Lebensjahre«, sagte der Dekan. »Sie sind jung, Sie haben noch Zeit«, und mehr als eine Vormerkung für das Sommersemester - keineswegs bindend, das letzte Wort habe ohnehin der englische University Officer - ließ sich nicht erreichen. Die Tore hatten sich geschlossen, keine magischen Worte mehr, die Stadt gehörte anderen.
    Am Bahnhof war der letzte Zug gerade abgefahren, eine Nacht im Wartesaal also, zwischen Vertriebenen, Versprengten, Heimkehrern, Heimatlosen, zwischen Säcken, Bündeln, Pappkartons und dem Schlafschulgeruch, der nachts auch in den Fluren des Pfarrhauses hing. Frau Schaper hatte ihr Corned beef aufs Brot gelegt, aus einem Paket von amerikanischen Verwandten, und der Mann neben Margot folgte, als sie die Schnitten auswickelte und zu essen begann, mit so unverhohlener Gier jeder Bewegung, daß sie ihm schließlich einen Teil abgab. Aber sein Blick, der jetzt zu ihrer Tasche wanderte, machte sie ängstlich, und darum hielt sie sich bis zum Frühzug wach. Es war zehn, als sie wieder in Hannover ankam. Eigentlich hatte sie sich erst umziehen wollen, doch auf dem Raschplatz machte sie kehrt und rannte zur Militärregierung.
    Überflüssig, die Eile. Major Hollet hatte ihre Absage ohnehin nicht zur Kenntnis genommen. Ob sein Angebot noch gelte? Wozu die Frage, am zehnten Oktober würde man sie mit dem Wagen abholen.
    Er warf ihr einen angewiderten Blick zu.
    »You look awful. And you smell. What have you done, Maggie?«
    Sie wollte ihm erklären, warum sie so aussah, kam aber nicht zu Wort.
    »Disgusting.« Major Hollet ging zum Fenster. »Go home and wash your face.«
    »Ich habe eine Bitte«, sagte Margot.
    »Well?«
    »Würden Sie im Frühjahr mit dem University Officer in Göttingen sprechen? Damit ich einen Studienplatz bekomme? Tun Sie das?«
    »Of course«, sagte er und sah wieder aus dem Fenster.
    »Und dürfen Deutsche jetzt bei der Militärregierung arbeiten? Ist das erlaubt?«
    Sie sei doch Schwedin, sagte Major Hollet.
    »Das stimmt ja gar nicht«, protestierte Margot.
    »Bye, Maggie.« Und Schluß der Debatte.
    Es war Mittwoch, keine Sprechstunde, die Halle leer. Margot setzte sich auf einen der Stühle, elend vor Enttäuschung und Müdigkeit, auch voller Zweifel, weil das, was sich ihr als Ausweg anbot, diese seltsame Abseite hatte. Aber vielleicht war Major Hollet nicht seltsamer als andere Menschen, nur, daß sie diese Art von Seltsamkeit noch nicht kannte.
    Herr Baranow, der ebenfalls nach Iffenhausen gehen sollte, brachte ihr eine

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