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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Tasse Kaffee. »Überlassen Sie die Dinge unbesorgt dem Major«, versuchte er sie zu beruhigen. »Es ist seine Angelegenheit, und glauben Sie mir, schwedisch oder nicht, kein Huhn wird danach krähen.«
    »Hahn«, verbesserte Margot mechanisch.
    »Selbstverständlich, wer sonst«, sagte Herr Baranow, »und es freut mich außerordentlich, daß Sie mitkommen, dann bin ich nicht so allein.«
    Er sah sie erwartungsvoll an, und Margot, die inzwischen wußte, wie nötig er Zustimmung brauchte, nickte.
    Im Pfarrhaus aß sie einen Teller Suppe, schlief danach einige Stunden und ging, weil es ein Ausnahmetag war, in die Eilenriede, wo die Vogelbeerbäume längst alle Blätter verloren hatten, die Birken und Buchen ihre Farben wechselten und das hohe Sommergras schon braun am Boden lag, Nebel darüber und die Dämmerung. Sie lief am Waldrand entlang, durch das Gebüsch blinkten die Lichter der Hohenzollernstraße, weiße Villen, unversehrt vom Krieg, Wohnzimmer, in denen Eltern mit ihren Kindern wohnten. War es richtig, alles aufzugeben, was Schutz bedeutete, Liebe sogar, nicht nur Plage? Sie lief weiter, bis die Stadt sich in den Schrebergärten verlor, spürte, an einen Stamm gelehnt, die feuchte Borke unter den Händen, ich bin kein Baum, dachte sie, ich kann mir nicht das Wasser mit den Wurzeln aus der Erde holen, doch es ist richtig, daß ich gehe. Mut, sie brauchte Mut.
    Im Pfarrhaus stand schon das Abendessen auf dem Tisch: Bratkartoffeln, braun und fettig vom Öl aus dem amerikanischen Paket, dazu Dosenfisch, ein Festmahl, verglichen mit den mageren Stippen, die es sonst gab. Dennoch, der Pastor zürnte. Der größte Teil des Öls nämlich war in die Töpfe mit den Flüchtlingsessen gewandert, und er heiße zwar Martinus, sagte er, aber nach dem Reformator und keineswegs zu Ehren des heiligen Martin, ein halber Mantel wärme niemanden, und ein Paket aus Amerika vermöge schließlich nicht die ganze Welt zu speisen, worauf seine Frau wissen wollte, ob er mit solchen Worten etwa vor den Herrn zu treten wage. Keine gute Grundlage, dieser Streit, für Margots Eröffnung.
    »Wie bitte?« Frau Schaper richtete sich auf. »Iffenhausen? Zu den Engländern? Und wo wollen Sie wohnen?«
    »Wo alle Zivilangestellten wohnen.«
    »Mein liebes Kind«, protestierte der Pastor, »Sie sind erst neunzehn, noch nicht einmal mündig. Wir haben versäumt, uns um einen Vormund für Sie zu kümmern, aber ich habe geglaubt...«
    »Auf der Flucht war ich achtzehn, und niemand hat danach gefragt«, sagte Margot in die Pause hinein, schwieg jedoch, als sie den Kummer in seinen Augen sah. Selma war schon wieder an die Arbeit gegangen. Zu dritt saßen sie um den runden Tisch herum und tranken amerikanischen Kakao, Holz knackte im Ofen, es war warm, die Studierstube vertraut inzwischen, und dann der Pastor, vor allem der Pastor.
    »Ich kann dort richtig Englisch lernen«, sagte Margot, »vielleicht sogar dolmetschen. Und mit Menschen umgehen. Und ich verdiene Geld, das brauche ich fürs Studium.«
    »Ich, ich, ich. Ob Sie auf diese Weise glücklich werden, Margret?« Frau Schaper preßte die Lippen zusammen, ein strenger Strich, und das Gesicht, noch hagerer als im Frühling, sprach von allem möglichen, nur nicht von Glück. »Das Haus wird leer werden«, murmelte sie, ein fremder Ton dabei in der Stimme, und sie schien nach Margots Hand greifen zu wollen, stockte aber mitten in der Bewegung. »So ist das, man kommt, man geht.«
    »Nein, so ist es nicht!« rief Margot, voller Mitleid plötzlich und schlechtem Gewissen, weil sie wußte, daß kein Mitleid der Welt sie dazu bringen würde, ihre Pläne fallenzulassen. »Sie haben mich aufgenommen, als ob ich zur Familie gehörte, meinen Sie, das vergesse ich jemals? Aber wenn ich für mich selbst nichts tun darf, könnte ich es auch niemals für andere, das habe ich gemerkt.« Sie schwieg. »Ich will leben«, sagte sie dann. »Verstehen Sie das denn nicht?«
    Pastor Schaper stand auf und legte die Hand auf ihre Schulter.
    »Doch, liebes Kind, das verstehen wir, auch wenn es uns schwer wird, Sie zu verlieren. Gehen Sie mit Gott. Sie werden auf dem rechten Wege bleiben, und dieses Haus steht Ihnen jederzeit offen.«
    Margot hätte ihn gern umarmt für diese Worte, tat es aber erst beim Abschied, einige Tage später, als sie nach Iffenhausen fuhr.
    Iffenhausen lag am Harzrand zwischen grünen, sanft hinschwingenden Hügeln, eine hübsche, kleine Stadt: Fachwerkhäuser, gotische Giebel da und dort, das

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