Malenka
die alten Lieder sang, die wie von selbst über ihre Lippen kamen, wünschte sie sich, hierzubleiben, in diesem Haus, wo keiner fragen mußte, wer er war, wohin er gehörte, welchen Weg er wählen sollte. Wünsche im Kerzenschein, drei Tage später fuhr sie nach Iffenhausen zurück.
Es ist nicht mehr für lange, meinte Margot und begann das Jahr 1946 voll Zuversicht, mit neuen Kenntnissen und Erfahrungen, auch mehr Geld in der Matratze, dreihundert Mark, die sie gespart hatte vom Gehalt, und mindestens doppelt soviel würde hinzukommen bis zum Beginn des Sommersemesters. Ordnung dann endlich, ein Plan, ein Ziel. Sie schickte ihre Bewerbung ab und erinnerte den Colonel an sein Versprechen, bei dem Univer-sitätsoflizier ein Wort für sie einzulegen.
»All right, I will do it.«
Er sah aus dem Fenster dabei, kein gutes Zeichen, all right, I will do it, immer dieselbe Beschwichtigung fortan, wenn sie ihre Bitte wiederholte. Der Januar verging, der Februar, aus Göttingen war bereits die Absage eingetroffen mit vagen Vertröstungen auf das nächste Semester, nur er konnte jetzt noch helfen.
»Bitte, Colonel, es ist so wichtig für mich.«
Sie stand vor seinem Schreibtisch in dem blauen Kleid, das ihm gefiel. Er hatte den Stoff aus seinem Weihnachtsurlaub mitgebracht, damals, als er viel zu früh zurückgekehrt war, am Neujahrstag schon. In der Halle ringelten sich noch die Papierschlangen von den Lampen, Überbleibsel der Silvesterfeier, und Zivilisten wie Soldaten schliefen ihren Rausch aus, auch Captain Porter, Commanding Officer zur Zeit, aber ohne jeden militärischen Eifer.
Margot hatte die ganze Nacht getanzt, hauptsächlich mit Stanley Schofield, der ihr in seinem erprobten Ruckzuck-Verfahren den langsamen Walzer beigebracht hatte, Foxtrott- und Swingschritte. Tanzen, zum ersten Mal, das war wie auf Wolken gehen. Die Halle verschwand im Schummerlicht der bunten Glühlampen, Parlez-moi d’amour spielte die Band, Ramona, Sentimental Journey, und Stanley Schofield, sein Gesicht an ihrem, sagte, daß sie sweet sei, o no, o yes, und später wollte er sie küssen. »Why not? Have you got a boyfriend somewhere?« Sie nickte, er wandte sich ab, »well, I am a married man anyhow«, und Margot, als sie mittags durch die Halle ging, grübelte immer noch hinter der Frage her, ob sie es richtig gemacht habe oder falsch, da stand der Colonel vor ihr in seinem kamelhaarfarbenen Dufflecoat, Schneeflocken auf dem Ärmel, die langsam zerschmolzen.
»Happy New Year«, sagte er so beiläufig, als käme er nicht gerade von Sussex zurück, sondern aus dem nächsten Dorf, und griff in seine Reisetasche: ein hellblauer Musselin, dann noch Kostümstoff, blauweißer Pepita.
»Blue is your colour, Maggie.«
»O Gott!« sagte sie überwältigt.
»Do you know a good dressmaker?«
Margot nickte, ja eine sehr gute Schneiderin. »Sie hat nur keine Nähmaschine.«
Er würde mit Max darüber sprechen, sagte der Colonel und war, bevor sie sich bedanken konnte, verschwunden. »Wahrscheinlich«, sagte Margot zu Herrn Baranow, »hat er die Stoffe sich selbst geschenkt, um sein Auge zu erfreuen.« Aber ihre eigene Freude wurde dadurch nicht gemindert.
Was das hellblaue Musselinkleid betraf, so hatte Frau Wolff sich diesmal dem Pyritzer Urmodell verweigert zugunsten eines lockeren Hemdblusenstils. »Elegant«, sagte sie vor dem Spiegel und strich die Falten unterhalb der tiefgezogenen Taille glatt, »sehr damenhaft, Fräulein Möller. Wie aus dem feinsten Salon.« Eva, Ildiko und Eis van Rouwen gefiel das Kleid so gut, daß sie ebenfalls zu Frau Wolff gingen, wie überhaupt ihre Kundschaft sich rasch vermehrte und dank der Nähmaschine, die Max Weinstein über zahlreiche Ecken und Umwege heranschaffte, auch bedient werden konnte. Jedesmal, wenn Margot später Sinn und Unsinn ihres Iffenhausener Aufenthalts erwog, sah sie Frau Wolff in der Schliekerschen Dachkammer stehen, die Tür öffnet sich, und was hereinrollt, bedeutet Wärme, Nahrung, Zukunft. In Frau Wolffs Geschichte, meinte sie, spiele ich den Part des Boten mit der Nähmaschine, und wer weiß, vielleicht bin ich wirklich nur deshalb nach Iffenhausen gekommen. Wie dem auch sei, als sie die Militärregierung verließ, konnte Walli Wolff aus eigener Kraft weiterleben, eine Rechtfertigung vielleicht für Margot, falls Rechtfertigungen nötig sind. Aber Schluß mit Frau Wolff, es ist nicht ihre, es ist Margots Geschichte, März, sie will gehen.
So schnell allerdings, wie sie glaubt,
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