Malenka
gefälligst, vermutlich schon zuviel, dieses Gespräch.
Am übernächsten Morgen, dem Tag vor Heiligabend, machte auch Margot sich auf die Reise, knapp achtzig Kilometer und ein abenteuerliches Unternehmen nach wie vor. Max Weinstein brachte sie zum Bahnhof und erkämpfte einen Platz im Gang des überfüllten Zuges, wo sie sich voll Angst vor den allgegenwärtigen Dieben an ihren Koffer klammerte, eine Leihgabe des Pastors, jetzt lagen die Geschenke darin, ein Huhn, zwei Pfund Zucker, eine ganze Stange Zigaretten, zu denen sie auf fast ebenso dubiose Weise gekommen war wie die Kofferdiebe an ihre Beute. Schweigegeld, Spießgesellenlohn. Zweifelhaft, ob sich dies noch zu den guten Sünden rechnen ließ.
Das Huhn, der Zucker, die Zigaretten stammten von Max Weinstein, sein Dank dafür, daß Margot, wie er es formulierte, die Schnauze gehalten hatte. »Du hast die Schnauze gehalten, da sollst du ein Huhn essen zu eurem Weihnachten.« Womit er sich auf das Porzellan im Treppenhaus des Schlößchens bezog, die Bonbonnieren, Tabaksdosen und Tafelaufsätze, die tändelnden Rokokopaare, Schäferinnen, Mohren, Flötenspieler und Ballerinen, Kostbarkeiten allesamt, gut gesichert hinter den Glasscheiben der Vitrinen, bis vor kurzem jedenfalls.
Die Besitzer der Annenburg hatten schon mehrfach höheren Orts um Herausgabe der Sammlung nachgesucht, vergeblich, beschlagnahmtes Gut, zudem unter besonderem Schutz des Military Government. OFF LIMTS, befahlen zwei Schilder über den Vitrinen, es war verboten, sich ihnen auch nur zu nähern. Und in der Tat, obwohl manches aus der Annenburg sich nach und nach verflüchtigte, Silberzeug, Bilder, sogar kleine Möbelstücke, das Porzellan war bislang tabu gewesen. Nur einmal war etwas abhanden gekommen, eine Nymphenburger Kolombine, niemand erfuhr, wie und durch wen. Die Vitrine zeigte keinerlei Beschädigung. Schweigen breitete sich über den Vorfall.
»Der Schloßgeist vermutlich«, hatte Herr Baranow beim Abendessen geäußert. »Und ich versichere Ihnen, eines Tages ist alles weg. Dort liegt ein Vermögen, mancher würde seine Großmutter dafür verkaufen.«
In der Nacht, die der Abreise des Colonels folgte, wurde Margot von ihrem Wecker früh um zwei aus dem Schlaf geholt, die Stunde für den Koks. Sie zog ihren Mantel an und schlich, Tasche und Schuhe in der Hand, über den Flur und die Treppe hinunter, immer auf der Hut, ob irgendwo eine Wasserspülung rauschte, eine Tür sich bewegte. Aber es blieb still im Haus, fast immer Stille um diese Zeit, noch nie war ihr jemand begegnet.
Im ersten Stock, nahe der Treppe, die zur Halle hinunterführte, meinte sie, leises Klirren zu hören, glaubte an eine Täuschung, bog um die Ecke. Da sah sie Max Weinstein. Er stand vor der obersten Vitrine und hielt eine Vase in der Hand. Margot wollte zurückweichen, zu spät, er hatte sie schon bemerkt. Der Mond, vom Schnee reflektiert, schien durch das große dreiflügelige Fenster, und sie preßte die Faust vor den Mund, um nicht zu schreien, denn Max Weinstein fuhr auf sie los, was willst du, und Margot sah die geöffneten Vitrinen, die Kiste davor, verrätst du mich, fragte er, und sie dachte, er würde sie umbringen, doch die Hände griffen nur nach ihren Schultern. »Verrätst du mich?«
Sie schüttelte den Kopf und rannte in ihr Zimmer zurück. An der Tür hochte sie auf Schritte, und als sie schon unter der Decke lag, horchte sie immer noch.
Die Untersuchung am nächsten Tag wurde von Captain Laughan geführt, dem Sicherheitsoffizier, der, bereits um die vierzig und offensichtlich in seiner Karriere steckengeblieben, dieses Defizit in Arroganz umsetzte und bei Briten und Nichtbriten gleichermaßen verhaßt war, besonders freilich bei der ihm unterstellten Iflenhausener Polizei, wo ausführlich darüber nachgedacht wurde, wie man es ihm später heimzahlen könne, in England oder sonstwo.
Captain Laughan setzte zunächst die Militärpersonen in der Registratur und die Zivilisten in der Halle fest. Unter seiner Aufsicht ließ er sämtliche Zimmer im zweiten und dritten Stock durchsuchen, dann die Büros und Wirtschaftsräume, schließlich sogar die Offiziersquartiere samt blauem, grünem und chinesischem Salon, alles umsonst, auch die Verhöre brachten nichts zutage. Margot sagte, daß sie geschlafen hätte. »Mit wem?« wollte Captain Laughan wissen. Stumm blickte sie auf seinen roten Schnauzbart, und der ebenfalls anwesende Captain Porter, der im Zivilleben Kunsthistoriker war und
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