Malenka
Kindern bei Schlosser Schlieker gleich hinter dem Iffenhausener Dom untergekommen war, in einer winzigen Kammer, Platz gerade für ein Bett, ein Sofa, den Tisch, den alten Kanonenofen. Der wurde nur zum Kochen geheizt und geriet dabei in rotglühende Hitze, erkaltete aber ebenso schnell und vermochte kaum etwas auszurichten gegen das Eis, zu dem die Feuchtigkeit an den Wänden allmählich gefror. Und da Frau Wolff nicht wie die Einheimischen über Beziehungen zur ländlichen Umgebung verfügte, auch von Schlossermeister Schlieker, der seine Arbeit nur gegen Naturalien erledigte, kein Stück Holz erhielt, also mit den amtlich zugeteilten drei Zentnern Briketts auskommen mußte, hätte sie den Winter womöglich kaum überstanden, wenn Margot nicht zufällig dabeigewesen wäre, wie sie Herrn Baranow an der Reception um Nähnadeln anflehte.
»Irgendjemand«, sagte sie fast weinend, »muß hier doch für Nähnadeln zuständig sein.«
»Die deutschen Behörden«, versuchte er ihr zu erklären, »Sie müssen sich an die deutschen Behörden wenden«, und die Frau, klein, dünn, in einem schäbigen Mantel mit Krimmerbesatz, geschnürte Männerstiefel an den Füßen, hatte verzweifelt gerufen: »Aber wovon sollen wir denn leben?«
Es handelte sich, sagte Herr Baranow, nachdem sie gegangen war, um eine Schneiderin, die auf der Flucht alle Utensilien eingebüßt hatte, und Margot drehte sich plötzlich um, rannte durch die Halle, die Freitreppe hinunter, die Lindenallee entlang, bis sie die Frau einholte. »Wo wohnen Sie?«
»Warum?«
Der Wind fegte Schnee von den Ästen, und Frau Wolff begriff nicht, daß jemand ihr Nähnadeln schenken wollte. Erst am Abend, als Margot ihr die Schachtel brachte, glaubte sie es.
Sie hatte im ersten Danziger Salon gelernt und bestand nun darauf, etwas für Margot zu nähen, einen Rock aus dem Satinfutter der roten Brokatportiere, dann noch ein Kleid aus dem Stoff von Max Weinstein, Stich für Stich Handarbeit, am warmen Ofen, weil Margot die Kartons, in denen die Rationen geliefert wurden, zum Verheizen sammelte, außerdem Taschen voll Koks anschleppte, Diebstahl britischen Eigentums, »gibt gute und schlechte Sünden, Malenka«, hatte ihre Großmutter gesagt. Und Margot redete so lange auf Frau Kükü und Freddy, den englischen Koch, ein, bis sie sich angewöhnten, die Essensreste für sie beiseite zu stellen. Jeden Abend der Weg vom Schlößchen zum Domplatz, Tribut an den Winter, der für sie nicht so hart war.
Das Kleid, blau-rot-grün kariert, war kurz vor Weihnachten fertig geworden.
»Not your colours, Maggie.« Der Colonel wandte angewidert den Kopf beiseite. »You look like a Christmas tree.« Wie ein Weihnachtsbaum! Margot war mit dem Paket durch die Straßen gehüpft am Abend zuvor, das erste Kleid nach so vielen Jahren, aus neuem Stoff und nicht aus Resten, oben eng, unten glockig, ihr Lieblingsschnitt seit eh und je. Auch Frau Wolffhatte sich zufrieden gezeigt, »flott, Fräulein Möller«, und alle bestätigten es, Ildiko, Eva, Eis van Rouwen, sogar Max Weinstein pfiff durch die Zähne, und nun dies.
»Ich bin keine Engländerin, ich kann mir die Sachen nicht aussuchen«, sagte sie, für einen Moment den Respekt außer acht lassend, und riß die Haube von der Schreibmaschine, um sich einem dieser abstrusen Briefe zuzuwenden, die Colonel Hollet mit Vorliebe frühmorgens in großen, schrägverschnörkelten Buchstaben aufs Papier brachte, da bemerkte sie seinen Blick. Das Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger, sah er sie an, so ernsthaft und konzentriert, daß sie »sorry« murmelte, »excuse me, please«, und sich gleich bei den ersten Worten vertippte.
»Not at all, you look nice with an angry face.« Die sachliche Feststellung eines Gutachters: Sie sehen hübsch aus, wenn Sie ärgerlich sind, aber Sie sollten lieber zartere Farben tragen.
Drei Tage später flog er nach London, wo seine Frau ihn in Empfang nehmen wollte, Lady Catherine, eine der spärlichen Auskünfte, zu denen er sich herbeiließ.
»And you? What are you doing?«
»Hannover«, sagte Margot. »Ich fahre über Weihnachten nach Hannover.«
Colonel Hollet runzelte die Stirn. »Why, stay here, they’ll have chicken for Christmas«, und an der Tür wandte er sich noch einmal um. »I hope you’ll come back?«
»Of course.« Margot lächelte in sein besorgtes Gesicht.
»Natürlich komme ich wieder. Haben Sie etwa Angst?«
»Behave yourself, Maggie, please.« Abrupt verließ er das Zimmer, benehmen Sie sich
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