Malenka
wird daraus nichts werden, noch liegen Stolpersteine am Weg. »Mensch ist kein Vogel, Malenka«, hatte Anna Jarosch gesagt, »wenn kleine Stein, kannst du springen, wenn große Stein, mußt du bleiben, wo bist.«
»Ich möchte nach Göttingen. Bitte, Colonel, helfen Sie mir.«
Er stand am Fenster, der Schnee im Park war geschmolzen, Amseln hüpften über den weichen Boden.
»Not now, Maggie«, sie müsse bleiben, er brauche sie noch.
Margot hatte es erwartet und wehrte sich trotzdem, versprochen, er habe es versprochen. »Warum tun Sie es nicht?«
»You stay here, that’s an order.«
»Ich bin nicht Ihre Sklavin!« rief sie, und er sagte, daß er im Herbst ohnehin ein Kommando in England bekäme, bis dahin, Maggie, »and I’ll phone Göttingen at once«, hielt auch schon den Hörer in der Hand, fragte nach der Nummer, wählte, redete, »my secretary, Major, very intelligent girl, very loyal too, of course, Major, all right, Major, thank you very much indeed.« Er legte auf, alles würde geregelt, keine Sorge, im Wintersemester könne sie anfangen, »but this summer you stay with me.«
Was sollte sie tun, sie blieb.
Der Mensch ist kein Vogel. Eine von Anna Jaroschs Maximen auf ihrem Weg zu den kleinen Sicherheiten, »weiß ich von mein eigene Leib, Malenka, gute Rat besser wie schlechte Tat«, so, wie es schon die junge Anna von ihrer Großmutter gehört hatte, bevor Heinrich Jarosch mit der Peitsche knallte und sie auf und davon gegangen war. Der Anfang allen Unglücks, nannte sie es, obwohl später, in den behaglicheren Jahren, manchmal auch durchklang, daß es vielleicht doch besser so gewesen sei, als im Dorf zu bleiben bei Stanislaw Jazcinsky und seinen zwei Kühen. »Aber bist du nie sicher, wie kommt, so oder so, und fällst du hart von hohe Stein.«
Bleib, Malenka. Spring, Malenka. Im Sommer war es wieder soweit: Margot sprang.
Juni, die Rhododendren blühten. Weigelien, Jasmin, rote und weiße Wolken im Grün, wenn Margot vom ersten Stock aus, wo sie jetzt wohnte, über den Park blickte. Nach den ersten Frühjahrsstürmen hatte es oben in ihrer Dachkammer durchgeregnet, auch bei Ildiko und Eva, so daß der Tischler Dünnebier aus Iffenhausen kommen mußte, um den Offiziersflügel vermittels einer Sperrholzwand zu separieren, und sie in die beiden leerstehenden Zimmer neben der Treppe umquartiert wurden.
Große Zimmer, ein Bad dazwischen und ein Ankleideraum. »Wie zu Hause«, hatte Eva gesagt, flüsternd nach wie vor, und das Gesicht an die blaue Wandverkleidung gelegt. Margots Wände waren fraisefarben, ebenso die Vorhänge, die Sesselbezüge, die Teppiche, das französische Bett, es hatte ihr den Atem verschlagen beim ersten Anblick, meins, dies ist meins, beinahe wie damals, als sie das Möllersche Eßzimmer ausgeräumt hatte für ihre Träume. Geborgter Luxus auch dies, nichts von Dauer.
Das Bad konnte sie jetzt allein benutzen, denn kurz nach dem Umzug hatte ein verschollen geglaubter Onkel von Ildiko sie und Eva nach Paris geholt. Seitdem saß Max Weinstein wieder neben Joseph, wie sich überhaupt manches verändert hatte im Souterrain, auf mehr oder minder dramatische Weise. Frau Kükü war weinend und winkend in die Heimat aufgebrochen, etwas später auch Olga Piggy, ihre Nachfolgerin am Herd, dies allerdings unter serbischem Wutgeschrei, nachdem Max Weinstein ihr das Essen vor die Füße gekippt hatte. Und Eis van Rouwens Abschied im Mai konnte man, obwohl das Kartenhaus ihrer angeblichen Vergangenheit dabei zusammenfiel, geradezu triumphal nennen.
Eines Sonntags nämlich, alle saßen beim Essen, hatte sich die Tür geöffnet, und ein Mann war hereingekommen, »Eis«, rief er, und sie war ihm mit einem Schrei um den Hals gefallen. Dies sei Horst, sagte sie schließlich, Horst Schünemann, und er fügte hinzu: »Ich war in Gefangenschaft, jetzt will ich sie holen.«
Schweigen zuerst, dann Max Weinsteins Stimme: »Bist du das Gestaposchwein, vor dem sie sich verstecken mußte?«
»Was soll das?« fragte der Mann, »Deutschenhure!« schrie Max, und beide machten Anstalten, aufeinander loszugehen.
Doch Eis verhinderte es. »Ja«, rief sie, »nennt mich so, von mir aus gerne. Ich habe gedacht, er ist tot, und jetzt ist er da, und denkt, was ihr wollt, ich pfeife darauf, komm, Horst.«
»Liebe, Lüge und Happy End.« Herr Baranow, der Margot an diesem Abend bei einem Gang durch den Park begleitete, wollte spöttisch sein. Aber es gelang ihm nicht, und als sie auf einer Bank saßen,
Weitere Kostenlose Bücher