Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
Vom Netzwerk:
ihm entgegenlaufen würde mit wehenden Haaren, aufrecht und anmutig, schließlich hatte schon Frau
    Dobbertin ihren schönen Gang bewundert. Aber in dem eisigen Zug hatte sie die Trainingshose unter Mantel und Rock ziehen müssen, auch einen zweiten Pullover, und beides nicht wieder loswerden können. Keine Jahreszeit für Anmut, sogar das Kopftuch vergaß sie abzubinden, und dann noch der Koffer. Sie schleppte ihn über den Bahnsteig, die Treppe hinunter durch den Tunnel, schief und hinkend unter dem Gewicht der dreißig Pfund Kohlen.
    Ulrich Jensch wartete an der Sperre. Sie hatte nicht vermutet, daß er es war, der Herr im dunkelblauen Ulster, mit dem weißen Schal und dem Hut, nur kurz sein Gesicht gestreift und weitergesucht nach dem feldgrauen Soldaten von Neustrelitz. Doch dann kam er auf sie zu, bist du es, ja, ich bin es, und bestürzt hatte sie vor ihm gestanden in dem abgewetzten Diwandeckenmantel und der Trainingshose, ein Gefühl vollkommener Unterlegenheit, ähnlich vielleicht dem in ihrer Kindheit, damals mit Doris Hoppe vor Dobbertins Haus, bei euch stinkt’s. Sie hoffte darauf, daß er sie in die Arme nähme, auch das eins ihrer Bilder beim Rattern des Zuges, Großaufnahme, die Worte dazu, die sie sagen wollte. Jetzt fiel ihr nichts mehr ein, überhaupt, der Moment war verpaßt.
    »Ich stehe hier schon ewig«, sagte er.
    »Es tut mir leid«, murmelte Margot.
    »Wie war die Reise?«
    Sie blickte auf ihre Trainingshose. »Es war so kalt im Zug.«
    »Hier auch.« Er griff nach dem Koffer. »Großer Gott, was ist denn da drin? Ein Sack Briketts?«
    »Ja«, sagte sie und senkte schnell wieder den Kopf, wegen der Röte, die ihr ins Gesicht stieg.
    Er sah sie verblüfft an, und sie erzählte etwas von einer größeren Zuteilung in Göttingen, da hätte sie ein paar eingepackt.
    »Sehr nett von dir«, sagte er, ein fremder Mensch, der neben ihr herging, aus dem Bahnhof heraus, über den großen Platz. Schwarz und hohl wuchsen die Ruinen in die Dämmerung, ein paar intakte Häuser dazwischen, hier und da Licht hinter den Fenstern. »Der Stuttgarter Platz«, sagte er, »das hier ist der Stuttgarter Platz.«
    Vor einem Eckhaus, dessen obere Stockwerke ausgebrannt waren, blieb er stehen. Im Parterre befand sich eine Kneipe. »Reinholds Bierstube«, las Margot an der Tür.
    »Möchtest du etwas essen?«
    Sie verstand nicht, was er meinte.
    »Ich muß mit dir reden«, sagte er und machte die Tür auf. Sie setzten sich, ein nackter, zerkratzter Tisch, bröckelnder Putz an den Wänden, die Decke voller Risse. Er bestellte zwei Gläser Alkolat, stand dann auf und verhandelte mit dem Wirt. Margot sah, wie er Zigaretten über die Theke schob, gleich darauf wurden zwei Teller mit Buletten, Brot und Mostrich gebracht, dazu das Alkolat, das sich als Heißgetränk mit Spritgeschmack erwies.
    Schweigend aßen sie die Buletten auf, und sie dachte an den Speck, den er für sie geschnitten hatte damals, falls er es überhaupt gewesen war. Aber er war es. Sie erkannte die hohe Stirn, die dünnen Haarsträhnen darüber, auch die Falten zwischen Nase und Mund.
    Er fing den Blick auf und sagte: »Deine Augen sind wirklich so hell. Wunderschöne Augen.« Dann griff er nach ihrer Hand. »Du hättest nicht kommen dürfen. Nicht so unvorbereitet. Das ist ja wie ein Überfall.«
    »Ich dachte, du würdest dich freuen«, sagte sie mühsam, »du hast doch so etwas geschrieben«, und er sagte: »Ja, das stimmt, und ich wollte dich ja auch gern wiedersehen. Man will manches.« Er schwieg und trank sein Glas leer. »Doch, ich möchte noch einmal mit dir zusammensein. Aber Berlin ist nicht der richtige Ort.«
    Sie waren die einzigen Gäste in der Bierstube. Der Wirt räumte die Teller ab, ob der Herr noch etwas trinken wolle. »Nein«, sagte Ulrich Jensch. Er ließ Margot los und legte seine Hand auf den Tisch, eine gepflegte Hand mit sorgfältig geschnittenen Nägeln, keine Schmutzrillen in der Haut wie damals.
    »Ich bin hier nicht allein«, sagte er und sah sie an, als warte er auf eine Reaktion. »Habe ich dir nie erzählt, daß ich geschieden bin und einen Sohn habe?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Meine Frau und ich«, sagte er, »wir wollen wieder heiraten. Man hat ja eine Menge durchgemacht inzwischen und ist vernünftiger geworden. Sie wohnen beide schon bei mir. Der Junge braucht einen Vater in dieser Zeit. Ich weiß nicht, ob du das verstehst, du bist noch so jung.«
    »Doch, das verstehe ich«, sagte Margot.
    »Ich hätte es dir

Weitere Kostenlose Bücher