Malenka
gelacht, absurd freilich nur im Rückblick, denn jedem wäre es normal erschienen seinerzeit, ein Koffer voll Briketts der Liebe wegen.
Auf die Idee war sie am Abend gekommen, als sie im Trainingsanzug, dicke Wollsocken an den Füßen, unter ihrer klammen Bettdecke lag und versuchte, sich das Wiedersehen in der Charlottenburger Wohnung vorzustellen. »Soviel ist kaputt in der Leibnizstraße«, hatte er geschrieben, »aber ausgerechnet unser Haus steht noch. Alle Sache sind gerettet, und ich sitze wieder in meinem Zimmer mit dem braunen Sofa, den Sesseln, dem Schreibtisch, nur leider friere ich dabei ganz jämmerlich.«
Noch war Februar, der Frost hielt an, und konnte es denn, dachte Margot, überhaupt schön werden auf dem braunen Sofa, ein kalter Ofen und sie beide vermummt wie die Eskimos? Sie erwog, die Reise zu verschieben, bis März vielleicht, ein unerträglicher Gedanke jedoch für ihre Ungeduld, woher immer sie kam, ob von Anna Jaroschs Kröte oder dem Verlangen nach Gewißheit. Schön soll es sein, schön, dachte sie und lag in einer Hülle aus warmen Wolken, der gelbe Mond darüber, so wie es damals gewesen war, und dann fielen ihr die Zigaretten ein im Schrank, dreißig Stück Marke Orient, die Zuteilung der letzten drei Monate. Eigentlich hatte sie, sobald die Mieten wieder geöffnet werden konnten, Kartoffeln dafür eintauschen wollen. Doch nun war Wärme wichtiger geworden. Briketts.
Am Vormittag ging sie in die Johannisstraße zu dem Kohlenhändler Freese, einem der wenigen dicken Menschen, die es noch gab, von geradezu krimineller Beleibtheit mit seinem mächtig gewölbten Bauch und den schwabbeligen Fettpolstern unter dem Kinn. Er stand auf dem Hof, trotz der Kälte mit offener Joppe, die Daumen hinter die Hosenträger geklemmt, und sah ihr wohlgefällig entgegen.
»Na, Frolleinchen, alleweil munter, das junge Blut?«
Margot, die seine Sprüche kannte, war zu Konzessionen bereit. »Mich friert es so, Herr Freese«, sagte sie und hielt ihm die Zigaretten hin. »Was kriege ich dafür?«
Er nahm die Schachteln, steckte sie in die Joppentasche und murmelte abschätzig, »Orient«, ein Hinweis auf den minderen Marktwert deutscher Zigaretten im Vergleich zu Camel oder Lucky Strike. »Fünfzehn Briketts.«
Margot trat einen Schritt näher und lächelte ihn an. »Zwanzig. Es ist doch so kalt.«
»Dann müssen Sie sich mal ’ne schöne Wärmflasche mit ins Bett nehmen, aber eine mit Ohren«, sagte er, blieb dann jedoch beim Geschäftlichen. »Pro Brikett eine Ami oder zwei deutsche.«
»Sie kriegen im März meine nächste Ration«, sagte Margot. »Aber die Briketts brauche ich gleich.«
Ob der Freund zu Besuch käme und sie noch nicht genug Hitze habe, fragte Freese mit seiner hohen, fast weiblichen Stimme, ein merkwürdiger Gegensatz zu dem Rumpf, aus dem sie stieg. Margot lächelte weiter, und er gab ihr einundzwanzig.
Zu Hause packte sie die Briketts in Schapers Koffer, unter den mißbilligenden Augen von Frau Hannewald, die im übrigen glauben sollte, daß die Reise nach Hannover ging ins Pfarrhaus. Die schönen Kohlen, jammerte sie, so ein Pastor, der bade doch sowieso in Hülle und Fülle, wobei unklar blieb, wieweit sie der ganzen Geschichte traute.
Es war Freitag, und Margot hatte vorgehabt, ihren Besuch rechtzeitig anzukündigen. Doch die Briketts ließen keine Verzögerung mehr zu. »Eintreffe Sonnabend 16.10 Bahnhof Charlottenburg«, telegrafierte sie nach Berlin und fuhr am nächsten Morgen los, mit dem Koffer und Frau Wolfis Leinenbeutel, in dem neben Wäsche, Seife und Handtuch noch das blaue Kleid lag aus dem Stoff von Colonel Hollet.
Einen Überfall wird Ulrich Jensch den Besuch nennen, Margot dagegen von Überraschung reden, »ich glaubte, du würdest dich freuen.« Was sie nicht aussprach, sich nicht einmal eingestehen wollte, war der Grund ihrer Eile, die Angst vor Aufschub und Vertröstung. Ich brauchte wohl, begriff sie später, endlich Gewißheit, um ihn loszuwerden.
Die Reise dauerte neun Stunden. Warten beim Umsteigen, warten an der Grenze zur sowjetischen Besatzungszone, Kontrollen, vereiste Weichen, die den Zug am Weiterfahren hinderten. Es war dreiviertel sechs, als Margot endlich Berlin erreichte. Sie stieg aus ihrem Abteil, sah sich um im Gedränge, nichts von Ulrich Jensch, auch nicht, als der Bahnsteig sich leerte.
Während der Fahrt hatte sie sich immer wieder das Bild dieser Ankunft vorgestellt, sein Gesicht, endlich erlöst aus der Vergessenheit, und wie sie
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