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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Zentner davon verzehren müssen. In der »Knochenmühle« jedoch gab es gegen entsprechenden, aber nicht zu hohen Aufpreis auch noch Kartoffelsalat, ein weiterer Grund, den langen Weg dorthin in Kauf zu nehmen.
    Margot war von Hans Sterner eingeladen worden, dem Mediziner aus der Stübchenrunde und Eigentümer eines Fahrrads, mit dem er die Steigung der Herzberger Landstraße hinaufkeuchte. Sie saß hinten auf dem Gepäckträger, zum ersten Mal in ihrem sogenannten Tanzkleid aus weißer, sanft glänzender Fallschirmseide, ein Geschenk von Max Weinstein. Es waren vier Keilstücke gewesen, und Frau Wolff hatte Margot überredet, statt Blusen ein Kleid daraus machen zu lassen. »Ein Tanzkleid, Fräulein Möller, irgendwann brauchen Sie das, dann sind Sie mir dankbar, und Sie kriegen sogar einen Glockenrock.«
    In der Tat, ein Glockenrock wie noch nie, die ganze schwingende Fülle der vier Schirmkeile am Saum, spitz verlaufend zur Taille hin, das Oberteil von zwei Trägern gehalten und als Schmuck ein kleiner Strauß Rosenknospen, die Frau Wolff aus Inlettresten angefertigt und mit Leim gestärkt hatte. Weiße Seide, dazu die Sommerbräune, und das Haar so blond wie eh und je. Hans Sterner, der unten vor der Tür wartete, hatte sie verblüfft angestarrt: »Menschenskind, siehst du fabelhaft aus.«
    Er fing fast jeden Satz mit »Menschenskind« an, ein Ausdruck, der Margot allmählich auf die Nerven ging, obwohl das, was darauf folgte, sich durchaus hören lassen konnte. Hans Sterner war intelligent und witzig, gutmütig dabei und verständnisvoll und verfügte außerdem als Sohn eines Apothekers über Phenacetin, Salzsäure, Harnstoffpulver, woraus er unter sorgfältigem Köcheln, Rühren und Abfiltern Süßstoff in Pulverform produzierte, ein hochbegehrtes Tauschmittel, von dem auch Margot hin und wieder ein Tütchen abbekam. Aber weder seine geistigen noch die materiellen Pluspunkte vermochten sie für ihn einzunehmen, nicht in der Weise jedenfalls, wie er es sich wünschte. Sie kannte auch den Grund ihrer Abneigung, seine ungeschlachten, fast gorillahaften Extremitäten nämlich. Äußerlichkeiten nur, aber dennoch, Margot schauderte bei dem Gedanken an seine Berührung.
    »Menschenskind«, sagte er jedesmal nach einem vergeblichen Anlauf, »warum denn bloß nicht«, und möglich, daß er sich von der Sommernacht oben am Hainberg Fortschritte in ihrer Beziehung erhoffte. Umsonst. Beim Hinweg saß sie noch auf seinem Gepäckträger, zurück mußte er allein fahren, denn nun war Harald Hellkamp da.
    Es begann im Saal, als er an Margot vorübertanzte. »La Paloma«, spielte die Band, und Hans Sterner, der mit den Tangoschritten nicht zurechtkam, trat ihr auf die Füße. Harald Hellkamp dagegen glitt geschmeidig dahin, ein zierliches dunkelhaariges Mädchen im Arm, über dessen Kopf hinweg er Margot zunickte, ein Blick nur, dann war er verschwunden.
    In der Pause jedoch, Hans Sterner hatte sich aufgemacht, um Kartoffelsalat zu beschaffen, stand er wieder vor ihr, mit seinem Silberblick und, gemessen an der Kleidung der anderen Studenten in der »Knochenmühle«, von geradezu umwerfender Eleganz: ein grauer Anzug, das Hemd schneeweiß, die Krawatte mit roten und blauen Klubstreifen.
    Es führte sie zum Parkett, legte den Arm um sie, und sie tanzten, irgend etwas Wildes zunächst, danach »Ramona«, die Melodie, bei der Stanley Schofield ihr den langsamen Walzer beigebracht hatte.
    »Sie haben so helle Augen«, sagte Harald, »wie eine Nixe«, und Margot dachte daran, wie er sie am Bahnhof aufgefangen und ihr die Kammer besorgt hatte.
    »Margret«, sagte er. »Sie heißen doch Margret?«
    Sie nickte.
    »Sie sehen wunderschön aus. Warum merke ich das eigentlich erst jetzt? Und ein wunderschönes Kleid.«
    »Fallschirmseide«, sagte sie.
    Er lachte. »Mein Anzug ist aus Mützentuch. Wir haben in unserer Weberei Mützentuch für die Wehrmacht produziert, das hier ist Luftwaffe. Einen dunkelblauen von der Marine habe ich auch noch. Bloß feldgrau vom Heer, was soll man mit feldgrauem Stoff machen. Höchstens aufheben für den nächsten Krieg.«
    Bei Margot schlug eine Alarmglocke an, verstummte aber gleich wieder, denn er sagte: »Fliegeranzug und Fallschirmkleid, wenn das nicht zusammenpaßt« und legte den Arm noch fester um sie. Ein schneller Walzer jetzt, die Wände rundherum drehten sich, sie lächelte in seine Augen. »So müssen Sie immer lächeln«, sagte er, und als der Tanz zu Ende war, drehte der Saal sich weiter,

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