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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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noch dieselbe.
    »Mensch, Marjot, lebste noch«, sagte sie fassungslos und fiel ihr um den Hals, ein Exzeß von Gefühlen, vor dem sie ebenso schnell wieder zurückschreckte, »komm rin, hier zieht’s.« Dann begann sie mit der Vorstellung: »Margot Jarosch von Mellenthin, wißter doch, die mit’s Karnickel.«
    Das Haus, in dem die Wohnung lag, hatte eine Luftmine zur Hälfte wegrasiert, genau an der Küche entlang. Die Wand war mit brandfleckigen Brettern verschalt, Schlafgelegenheiten überall, es roch nach Sauerkohl. »Vont Krankenhaus mitjebracht«, sagte Liesbeth, »Jott sei Dank jibt’s Patienten, die nüscht mehr runterkriejen. Kannste jleich mitessen.«
    Die neun Personen rückten zusammen, ein Stuhl wurde geholt, ein Teller. Margot legte die Briketts vor den Herd, ihr Gastgeschenk, zu üppig fast und entsprechend bestaunt.
    Wo sie die her hätte, wollte Liesbeth wissen, überhaupt, was sie in Berlin vorhabe um diese Jahreszeit. »Mitten in Winter, kann ick jar nich vastehn«, sagte sie, und die unklare Antwort brachte den gleichen sorgenvollen Ausdruck in ihre Augen wie früher, wenn von Wiethe die Rede gewesen war, dem Filou.
    Als der Kohl gegessen war, das Geschirr abgewaschen und sie beide in der Küchenecke saßen, ohne die anderen endlich, kam die Frage, auf die Margot gewartet hatte. »Und Lore?«
    »Erschossen«, sagte Margot, »Tiefflieger«, und sie erzählte von Neustrelitz, zum ersten Mal die wahre Geschichte, Lore Möller tot, Margot Jarosch am Leben, zwei Jahre ausgelöscht, ich bin ich. Doch nur für einen Nachmittag, dann war es vorbei.
    »Schreibste mal?« fragte Liesbeth.
    Es war dunkel geworden. Margot wollte gehen, nun begannen die Lügen. Sie standen an der Tür, Liesbeth musterte sie von oben bis unten. »Jut siehste aus, ’ne schnieke Frau, kannste sagen, watte willst, und och noch studiert. Bestimmt kriste mal’n juten Mann, und wenn de ’ne Köchin brauchst, kannste mir vielleicht holen.«
    »Ja, Liesbeth«, sagte Margot, ohne sie anzusehen.
    »Und keene Bange, denn siez ick dir wieder. Per Du jeht denn nich mehr, vasteh ick doch.«
    »Quatsch«, sagte Margot, »du bleibst meine Freundin, so oder so«, und das war der Abschied.

    Die Reise mit den Briketts. Wenn Margot darüber lachte in späteren Jahren, dann allenfalls für sich allein. Nur einer wird die Geschichte zu hören bekommen, Wiethe, vor dem sie sich schon früher nicht geschämt hatte. Harald Hellkamp dagegen, ausgerechnet er, erfuhr nie etwas davon. Aber es gab vieles, was Margot ihm verschwieg, aus welchen Gründen auch immer, ihre Schuld, seine Schuld, warum von Schuld reden.
    Im übrigen waren Semesterferien, es blieb noch eine Frist, bis sie und er zusammenkamen. Margot hatte vergeblich nach Arbeit gesucht, nun nutzte sie die Zeit, um mit dem Latein fertig zu werden, und legte außerdem Fleißprüfungen in Deutsch, Englisch und Geschichte ab für den Erlaß der Studiengebühren und einen Freitisch in der Mensa. Seit ihren Göttinger Anfängen hatte sie nahezu tausend Mark von ihren Reserven verbraucht, beängstigend, wie die sich verflüchtigten. Doch wer nicht am Netz des Schwarzen Marktes hing, mußte davon leben, und schlechtes Geld schmolz ebenso leicht dahin wie gutes. Trotzdem, noch war das nicht ihre Sorge. Das Geld lag auf der Bank, und wenn sie nicht mehr ausgab als achtzig Mark im Monat, mußte es für fünf weitere Semester reichen. So war es berechnet, feste Pläne, bis die Währungsreform dazwischenkam. Aber da stand längst Harald Hellkamp bereit, um Margot aufzufangen.
    Die Gelegenheit ergab sich beim Sommerfest der Mediziner oben am Hainberg. Es fand in der »Knochenmühle« statt, nicht etwa des beziehungsreichen Namens wegen, sondern weil fast alle anderen Gaststätten mit passenden Räumen von den Engländern beschlagnahmt waren. Schwierig, überhaupt einen Saal zu bekommen in diesem wilden Fetensommer, der Winter überstanden, die Sonne schien, das Leben ging weiter, so viele Gründe zum Feiern. Es geschah laut und ausgiebig, mit Jitterbug, Boogie-Woogie, Walzer und Slowfox, bei Dünnbier und dem nun kalten, unter allerlei Phantasienamen laufenden Heißgetränk, und gegessen wurde Salat. Grüner Salat vor allem, der plötzlich massenhaft auf den Markt kam und sich, in Essigwasser schwimmend, als Renner bei den Festen erwies, kein Ersatz allerdings für die vertanzten Kräfte, denn zur Deckung des täglichen Kalorienbedarfs, so wurde von Chemiestudenten errechnet, hätte man einen halben

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