Malenka
demnächst geschrieben. Das hat sich alles ganz allmählich entwickelt. Willst du noch eine Bulette?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es tut mir sehr leid«, sagte er. »Ich wollte dir nicht weh tun, es war so schön mit dir, ich habe soviel an dich gedacht.«
Margot stand auf.
»Die Nacht, die vergesse ich nicht«, sagte er. »Und vielleicht können wir uns doch noch einmal wiedersehen. Im Sommer gehe ich nach München, in die Siemenszentrale. Von dort kommt man leichter nach Göttingen.«
Sie nahm den Koffer und ging zur Tür. »Warte doch!« Er lief ihr nach. »Wo willst du denn hin?«
Draußen war es dunkel geworden, der Platz nahezu menschenleer. Eine Straßenbahn ratterte vorbei, hielt an der nächsten Ecke, fuhr mit schrillem Klingeln weiter.
»Dort ist eine Pension.« Er griff in die Manteltasche und gab Margot eine Schachtel Zigaretten. »Höchstens sechs Stück für eine Nacht, auf keinen Fall mehr. Ich bringe dich hin.«
Margot blickte auf die Schachtel. Chesterfield. Ulrich Jensch mit Speck, Schnaps und Chesterfield. Sie ließ die Zigaretten fallen und sagte: »Geh doch endlich.«
Er stand vor ihr, eine Gestalt im matten Licht der Gaslaterne, fast wie damals auf dem Hof unterm Vollmond. Seltsam, wie vertraut er ihr plötzlich schien, so, als habe sie sein Gesicht immer bei sich gehabt und müßte es erst jetzt verlieren.
»Malenka«, sagte er.
»Ich bin nicht Malenka für dich«, sagte sie und erschrak über das, was sie ausgesprochen hatte. Nicht mehr Malenka, für ihn nicht, für keinen mehr, er war der letzte gewesen, nie wieder dieser Name. Später, im Bett der Pension Elite, wird sie auch deswegen weinen, überflüssigerweise, »sollst du warten mit Lachen und Weinen auf richtige Zeit«.
Bevor Margot das Haus mit der Pension betrat, drehte sie sich noch einmal um und sah, wie er sich bückte. Dann ging er und bog bei »Reinholds Bierstube« um die Ecke. Die Zigaretten, Margot nahm es wahr trotz allem, lagen nicht mehr auf dem Pflaster, möglich, daß sie sonst doch noch die Schachtel geholt hätte. Ganz sicher jedenfalls war sie sich später nie.
Zu einem Bett indessen kam sie auch ohne Ulrich Jenschs Hilfe.
»Haben Sie Amis?« fragte die Wirtin. »Sechs ohne, acht mit Frühstück.«
»Briketts«, sagte Margot.
Die Frau zeigte ihr das Zimmer, ließ sich die Bezahlung aushändigen und brachte, weil Margot so zitterte, noch eine Tasse heißen Tee. »Appelschalentee. Trinken Se man, Fräulein.«
Und das war die Nacht, auf die sie gewartet hatte.
Am nächsten Tag fuhr sie zu Liesbeth Domalla.
Margot hatte kaum Schlaf gefunden mit ihrem geplatzten Traum, es war nur Luft darin gewesen, und wozu diese ganze Atemlosigkeit, immer wieder hinter Zielen her, die es vielleicht nicht einmal gab, Trugbilder, Geschichten, auf dem Sofa erzählt. Aber sie hatte schon gelernt, dennoch des Morgens aufzustehen, und im übrigen sollte auch dieser Schmerz wieder verschwinden, bis auf einen Rest, wenn sie den Mond sah zum Beispiel.
Liesbeth Domalla war ihr beim Frühstück in der Küche eingefallen, Blümchenkaffee, eine Scheibe Graubrot, ein Stück klitschiger Pumpernickel, dazu der Klecks Margarine und braunrote Rübenmarmelade. Feuer brannte im Herd, Wasser summte, und die Wirtin, während sie Kaffee nachgoß, meinte: »Is doch jemütlicher hier in der Wärme als in so ’nem kalten Stall von Frühstücksraum.«
Liesbeth Domalias Zungenschlag, »ick bin man bloß ’ne Proletin von de Ackerstraße«. Margot mußte wenigstens noch diesen einen Tag in Berlin bleiben, wegen Frau Hannewald und der Hannoverlegende. Sie lieferte ihre acht Briketts ab für die nächste Nacht. Es blieben fünf, die sie mitnahm auf die Suche nach Liesbeth Domalla.
»Domalla? Wilhelm oder Bruno?« fragte der Kneipenwirt in der zerbombten Ackerstraße, auch hier Kneipen an allen Ecken, wenngleich kaum noch ein Stein auf dem anderen lag.
»Mit vielen Kindern«, sagte Margot. »Die älteste Tochter heißt Liesbeth.«
»Det is Wilhelm«, sagte ein Mann, der an der Theke Dünnbier trank. »Die wohnen jetzt in de Invalidenstraße, unten is’n Schuster drin, wer’n Se schon finden. Die Jroße arbeitet in de Küche vons Virchow-Krankenhaus, aber vielleicht hat se Ausjang, is ja Sonntag.«
Liesbeth öffnete selbst die Wohnungstür, durch die man direkt in die Küche kam, wo die Familie beim Essen saß, Vater, Mutter, Geschwister. Da stand sie und starrte Margot an, pickelig, mit strähnigen Haaren, sogar die Kittelschürze schien
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