Malenka
drehte und drehte sich und wollte sie mitreißen, doch Harald fing sie auf, genau wie vor einem Jahr, und sie ließ den Kopf etwas länger als nötig am Revers des grauen Anzugs liegen. Harald Hellkamp, der sie festhielt. So muß es bleiben, dachte sie, erste Schritte in den Selbstbetrug. Er fuhr mit dem Finger über ihren Nacken. Erschrocken sah sie ihn an, und wieder kam sie ihm hilflos vor. Der Beginn einer Liebe, und es ist alles nicht wahr. Sie tanzten, solange das Fest dauerte, unbekümmert um die beiden anderen, das dunkelhaarige Mädchen und Hans Sterner, der nach einer Weile mit seinem Rad davonfuhr und Margot nie wieder verzieh, obwohl sie versuchte, es ihm zu erklären: Ich habe mich verliebt.
Der Hainberg bei Nacht. Harald küßte sie und sagte alles mögliche, Streichelworte, endlich jemand, der sie streichelte, mit Händen, die ihr gefielen, der Mund gefiel ihr, die Stimme, und wie er »ich liebe dich« sagte, jetzt schon, so bald. Margot dagegen zögerte noch. Es dauerte einige Zeit, bis sie ihr Gefühl für Liebe hielt, eine Lüge wird er es später bei der Trennung nennen, eine von vielen. »Wie konntest du von Liebe reden, ich war damals kein anderer als jetzt.«
Es stimmte. Sie wußte, wie er war, katastrophenlos. Ganz am Anfang, noch nicht blind aus diesen und jenen Gründen, hatte sie es schon bemerkt, und in hellsichtigen Momenten wußte sie es wieder, nachts vor allem, wenn Anna Jarosch sich meldete mit ihrem Vorrat an Warnungen und Ermahnungen. »Sollst du nicht sein wie Huhn, Malenka, was steckt Kopf in Sand und legt windige Ei«, oder jenes tausendmal gehörte: »Augen in Luft, Füße in Mist.« Aber da hielt Harald Hellkamp sie schon viel zu fest.
Schade eigentlich im nachhinein, falsches Timing. Gerade zu dieser Zeit war sie auf eine Studentengruppe gestoßen, die sich mit der unter Hitler verfemten Kunst und Literatur beschäftigte, mit den Gedanken jenseits der geistigen Barrieren, die man zwölf Jahre lang um Deutschland gezogen hatte. Namen wie Brecht, Kafka, Camus, Sartre tauchten auf, die Frage nach dem Ich inmitten so vieler Verluste, nach der Zukunft unter der Last der Vergangenheit, und was zu tun sei, um an die Stelle von verkommenen Traditionen Besseres zu setzen, »es soll anders werden«, hatte Margot es in den Gesprächen mit Lore Möller genannt. Ein neuer Kreis, neue Ideen, alles in der Schwebe, denkbar, daß, wäre Harald ein halbes Jahr später erschienen, der Umweg über Bielefeld sich erübrigt hätte. Doch nun, in Harald Hellkamps Schlepptau, driftete sie ab zu seinen Ufern, wo es zwar auch um das Neue ging, aber für ihn hieß es Wirtschaft, Aufbau, Produktion. »Natürlich, Schatz, soll es alles anders werden, aber erst müssen die Maschinen wieder laufen, die Leute genug zu essen und anzuziehen haben und ein Dach über dem Kopf, ist das etwa nicht wichtig?«
Was ließ sich dagegen erwidern. Er küßte sie, und Margot lief weiter durch Göttingen an seiner Hand, Harald Hellkamp, der Mützentuch gegen Kohlen tauschte, der Wurst mitbrachte, Brot und Speck. »Und so ein netter Mensch«, schwärmte Emmi Hannewald, schon aus Bestechungsgründen, da sie ebenfalls davon profitierte. »Wie der Sie ansieht, der meint es ehrlich, der kann ruhig herkommen. Und schadet ja wirklich nichts, Fräulein Möller, wenn einer was an den Füßen hat.«
Nein, es schadete nichts, war aber auch nicht der Köder, der sie fing und hielt, das Brot, der Speck, das alles nicht. Hans Sterner hatte vergeblich mit seinem Süßstoff gewinkt, und trotz aller Vorteile wäre es im Herbst fast zur Trennung von Harald gekommen. Fast, er hatte es zu verhindern gewußt. »Kleinigkeiten«, sagte er, »wir werden uns doch nicht von Kleinigkeiten auseinanderbringen lassen«, und meinte damit Eva aus Iffenhausen, an die sich Margot, verschnupft und heiser seit einigen Tagen, erinnert hatte, wieder einmal, sie erinnerte sich etwas zu häufig daran, für seinen Geschmack jedenfalls.
»Geprügelt, bis sie nicht mehr sprechen konnte. Und genauso alt wie ich, stell dir das vor.«
Er schwieg. »Stell dir das vor«, wiederholte Margot, und er sagte: »Aber jetzt sitzt sie in Paris, und alles ist bestens.«
Das war der Anfang des Streits. Sie hatten in Margots Zimmer zu Abend gegessen. Eigentlich wollten sie ins Kino gehen. »Meinst du, Eva sollte dankbar sein, daß wir sie nicht totgeschlagen haben?« fragte Margot, worauf er wütend rief: »Wir schon gar nicht, ich jedenfalls habe keinen umgebracht«, und
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