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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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geben: Die jüdische Braut .
    Van Gogh: »Hör zu, ich würde sofort zehn Jahre meines Lebens dafür geben, wenn ich, sagen wir mal, vierzehn Tage lang ungestört dieses Bild betrachten dürfte.«
    Der Maler drehte sich zwischen den Hosen und Mänteln um, sein Blick suchte die Tür.
    Van Gogh, flehend: »Vierzehn Tage, bei Wasser und Brot!«
    Ich habe Angst vor dem Bild, dachte der Maler, aber das Bild hat auch Angst vor mir. In drei Teufels Namen, wie stelle ich es an?! Wie bringe ich Leben hinein? Seit Jahren schon glühte seine Palette in Gold- und Tiefrottönen. Er beugte den Kopf unter einer tiefhängenden Draperie, drückte sich an einem Kleiderständer vorbei. Auf der Suche nach einem Ruhepunkt für seine Gedanken stellte er sich das Kleid der Frau vor. Ein Kleidungsstück, das er in der Komposition nicht nach dem Leben angelegt, nicht aus irgendeiner Garderobe übernommen hatte, er hatte es sich ausgedacht. Rot.Und was bewirkte dieses Rot nicht alles bei dem Frauenporträt, das ganz aus Sanftheit bestand, aus Milde? Farbe drückt etwas aus, das jenseits des Farbmaterials existiert, das rote Kleid drückte etwas aus …
    Van Gogh: »Um so malen zu können, muß man mehr als einmal gestorben sein.«
    Die Tür zur Straße stand offen. Der Maler schritt bereits auf das Tageslicht zu, als er auf eine Person aufmerksam wurde, die ganz still rechts an einem Tisch in einer angrenzenden Nische stand und an etwas nicht genau Erkennbarem arbeitete. Als er näher trat, sah er, daß es Perücken waren, zwei Stück. Eine, wollig gelockt nach einer naiven, französisch wirkenden Mode, schien ihm fast fertig zu sein.
    »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, mein Herr?«
    Der kleine, magere Mann sah nicht auf, als er seine Frage stellte. Er trug ein fahlschwarzes Wams, eine fahlschwarze Schürze, sehr staubig, und eine Ledermütze.
    »Nein«, sagte der Maler. »Ich brauche nichts.«
    Daraufhin zog der Perückenmacher die Schultern ein klein wenig hoch und beugte sich über den Tisch, als wolle er die Schälchen mit den bereits angeriebenen Pigmenten, Gelb-, Dunkelgrau- und Umbratöne, sowie die Pulverdosen dem Blick des anderen entziehen. Dann sah er doch kurz auf. Und in diesem Moment wurde dem Maler klar, auf welche Weise und von welchen Köpfen das einst blonde, braune oder feuerfarbene Haar abgeschnitten worden war, mit dem der Mann arbeitete.
    Die Pest hat es prinzipiell eilig. Will man mit ihr ein letztes Geschäft tätigen, dann muß man sehr schnell sein. Die Pest läuft in fliegender Hast durch die Straßen.
    »He, haltet mal an!«
    »Ja … was ist …?«
    Der Leichenzug steht still.
    »Ja, bitte, der Herr?«
    Die Träger haben es praktisch schon verstanden. Die aus bestimmten Vierteln stammenden Angehörigen wissen sehr wohl, daß der Tote nichts, wirklich gar nichts dagegen gehabt hätte, noch ein letztes Mal ein nettes Sümmchen einzustreichen. Im Gegenteil, sogar ein Toter weiß, daß es keine größere Sünde gibt, als der Dieb seines eigenen Portemonnaies zu sein. Das Tuch wird zurückgeschlagen, ein sehr ansehnlicher Haarschopf glänzt zum letztenmal in der Sonne.
    Das Männchen blickte von seinem Platz hinter dem Tisch den schweigenden Kunden an. Auf seinem Gesicht die Angst vor einer Kontrolle durch die Gemeinde. Der Maler sah, wie seine Wangenmuskeln zuckten.
    Auch das Messer glänzt. Ein paar armselige Stuiver wechseln von einer Hand in die andere. Die Richtlinien der Stadt waren beim letztenmal, im vergangenen August, nicht immer ganz widerspruchsfrei gewesen. Einerseits sollte der Tote möglichst schnell beerdigt werden, andererseits hieß es, man solle sicherheitshalber noch etwas warten. Zwölf Stunden, hieß es, und in dieser Zeit konnte ein Aufkäufer in aller Ruhe die verseuchte Wohnung aufsuchen, das Haar befühlen und ein Angebot machen. Im September hatte die Stadtverwaltung sogar vierundzwanzig Stunden Wartezeit vorgeschrieben, weil der Pesttote, wie sich gezeigt hatte, öfter einmal ein Scheintoter war und sich, bereits im Gestank des Friedhofs befindlich, noch einmal aufzurappeln verstand. Kreideweiß, mit ausgestreckten Händen vor sich tastend, und Augen, die nichts begriffen. Auf dem Kopf die knapp oberhalb der Wurzel abgeschnittenen Härchen, wie Werg.

14
Spiegel und Testamente
    Sie war nicht seine erste Frau gewesen. Sie, die zweite, war vor dem Gesetz nicht einmal als seine Frau registriert worden. Seine erste hatte das per Testament verhindert. Natürlich nicht absichtlich, nicht

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