Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
Herr?«
Sie öffnete den unteren Teil der Tür. Ohne Grund trat der Maler ein.
Sie sehen sich auch nicht an, überlegte er. Weder er noch sie empfindet die Notwendigkeit dazu.
Der Raum war muffig und schummrig. Der Maler ging automatisch auf die Regale im hinteren Teil des Ladens zu. Kleidung – das Alibi dafür waren seine Modelle und Figuren – hatte ihn immer fasziniert. Diesmal jedoch sagten die Hüte, Schärpen, Stiefel, Tuniken, Hosen, Leibchen und Röcke ihm nichts anderes, als daß sie zu viele waren. Zudicht an dicht, zu sehr stinkend nach dem, was sie erlebt hatten. Außerdem waren die beiden auf seinem Bild längst mit Kleidung versehen.
Die beiden.
Wer? Oder gab er ihnen schon keine Namen mehr?
Vor Jahren hatte er auf einer Auktion einen faszinierenden Stich gekauft. Noch am Tisch des Kassierers hatte er, das Bild dicht vor der Nase, seinen Kauf, die Reproduktion eines Freskos von Raffael, bewundernd studiert. Wahnsinnig gut, und so schön! hatte er gedacht. Isaak und Rebekka, die sich irgendwo im Freien liebkosen, während sie von einem Fenster aus, hoch über ihren arglosen Köpfen, vom König der Philister heimlich beobachtet werden, Abimelech hieß der Mann. Mit der biblischen Sexgeschichte in der Tasche war er nach Hause spaziert.
Gute Idee. Mach’ ich auch mal.
Die Szene auf dem Stich war ihm natürlich bekannt. So ein erotisches Motiv taucht, einmal in die Welt gesetzt, immer wieder irgendwo in der Kunst auf. Starke Motive sind verdammt zähe Streuner, sind Pilger. Immer wieder gelingt es ihnen, ein neues Obdach zu finden. Ein uraltes Liebespaar, bis zum heutigen Tag am Leben geblieben. Noch am selben Vormittag zeichnete er eine Variante, ein flüchtiges kleines Bild, in dem der Voyeur kaum noch eine Rolle spielte.
Der Maler stromerte durch den langen, niedrigen Ladenraum, der von ein paar an der Decke hängenden Öllämpchen in kleinen Drahtkörben deprimierend beleuchtet wurde. Die Vergangenheit ist wirklicher als die Gegenwart. Der schwere Textilgeruch begann aufdringlich zu werden, Mitteilungen auszusenden. Er verengte den Blick. Wenn die Pest sich offenbarte, begann die menschliche Haut einenSchlammgeruch von sich zu geben, bei dem man sich fassungslos fragte, woher der so plötzlich kam.
Sie hatte ja immer so gut gerochen.
Wangen, Lippen und Augenlider schwollen an und wurden schweißnaß. Schweiß legte im Nu auch eine dicke Schicht Feuchtigkeit auf Arme und Brust.
Ihr weißes Unterhemd hatte wie ein schmutziger Schatten an ihr geklebt.
»Wenn du wüßtest, wie warm mir ist«, hatte sie an jenem ersten, noch hoffnungsvollen Tag mehrmals geseufzt.
»Hier, trink ein bißchen.«
Weil sie gerade das Hemd auszuziehen versuchte, ungeschickt über den Kopf, hatte sie seine Hand weggestoßen. Geklecker. Holundersaft auf der Decke.
»Gib’s Mie Magdaleen«, hatte sie gemurmelt, immer noch mit dem Hemd kämpfend.
Hilflos hatte sie die Arme wieder sinken lassen.
»Ach, laß nur.«
Mie Magdaleen war das Dienstmädchen. Sie hatte das knielange Unterhemd, ziemlich weit, mit Ärmeln und großem Halsausschnitt, eine Woche später tatsächlich nicht ins Feuer gelegt, sondern sorgfältig gewaschen und zum Trocknen in die Sonne gehängt.
Tja, dachte der Maler plötzlich. Er sah sich um. Was tu’ ich hier in Gottesnamen? Als hätte die monumentale Leinwand in dem engen Malzimmer, ein Stück weit von hier, des Wartens müde, ihm auf die Schulter geklopft. Wo waren wir stehengeblieben? Zweifellos bei der Innigkeit eines großartigen Paars. Zweifellos bei der Liebe, die allem, auch der Zeit, auch dem Tod, trotzt. Gibt es etwas Schöneres?
Nein, und dennoch ging es im Kern, wie immer, um etwasanderes. Der Maler sah sich selbst im hinteren Teil eines muffigen Ladens stehen und verspürte plötzlich Eile, Unruhe, eine enorme Unruhe, denn – wie bringt man das zuwege? Wie stellt man sich einer solchen Aufgabe, die man sich zu diesem Zeitpunkt seines Lebens selbst aufgebürdet hat?
Mehr denn je die ins Mark gehende Frage. Es macht einen ziemlich großen Unterschied, ob man eine kleine Mondscheinszene für den Kamin pinselt oder an einem Gemälde arbeitet, das nach einem langen Weg, einem Weg, der vom siebzehnten Jahrhundert bis ins zwanzigste führen sollte, als das sympathischste, liebevollste, innigste Bild der ganzen Welt gelten würde, das kein Mensch würde betrachten können, ohne daß es ihn bis tief in den einsamen Teil seines Herzens hinein berührte.
Man würde ihm den Titel
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