Malevil
hänge an meinen Hemden. Dennoch ist es wahr:
Das seine, wenn er bloß dieses hat, ist fadenscheinig, und er scheint sehr beglückt zu sein, es auf der Stelle gegen eines
von den meinen auswechseln zu dürfen. Ich sagte schon, wie überrascht ich bin, als ich Fulbert ohne Kleider sehe.
Ich biete ihm den Lehnsessel vor meinem Schreibtisch an, doch ist das eine Höflichkeit, die sich auszahlt, denn wenn ich auf
dem Sofa sitze, kehre ich dem Licht den Rücken zu, und mein Gesicht bleibt verborgen.
»Ich danke für das Hemd, Emmanuel«, sagt er würdevoll.
Während er den Kragen zuknöpft und seine graue Strickkrawatte umbindet, sieht er mich mit tiefernsten Augen an, wobei er seine
ernsthafte Würde durch ein sanftes Lächeln mildert. Fulbert ist sehr intelligent. Sogar feinfühlig. Er muß fühlen, daß etwas
nicht so läuft, daß seine Pläne bedroht sind, daß ich eine Gefahr für ihn darstelle: Sein Blick ist wie ein langer Fühler,
der behutsam den Umkreis meiner Person abtastet.
»Erlaubst du, daß ich dir einige Fragen stelle?« sagt er schließlich.
»Stelle sie.«
»In La Roque hat man mir erzählt, daß du in Hinblick auf die Religion recht lau bist.«
»Das stimmt. Ich war recht lau.«
»Und daß du ein wenig erbauliches Leben führtest.«
Er entschärft seinen Satz durch ein leichtes Lächeln, aber dieses Lächeln erwidere ich nicht.
»Was versteht man in La Roque unter einem wenig erbaulichen Leben?«
»Wenig erbaulich in bezug auf Frauen.«
Ich überlege. Ich möchte das nicht durchgehen lassen. Ich |261| möchte aber auch weder Aufsehen noch Bruch. Ich suche nach einem Minimum an Entgegnung.
»Es ist dir nicht unbekannt, Fulbert«, sage ich schließlich, »wie schwierig es für einen kräftigen Mann wie dich und mich
ist, auf Frauen zu verzichten.«
Dabei hebe ich den Blick und sehe ihn an. Er gerät nicht aus der Fassung. Er bleibt völlig unberührt. Zu merklich sogar. Denn
unter Berufung auf das »unerbittliche Leiden« und auf den »Fuß im Grabe« müßte er sich gegen die Kraft, die ich ihm zuschreibe,
verwahren. Beweis, daß ihn dieser Aspekt meiner Bemerkung nicht getroffen hat.
Plötzlich lächelt er.
»Ärgert es dich auch nicht, Emmanuel, auf meine Fragen zu antworten? Ich möchte nicht, daß es aussieht, als wollte ich dir
gegen deinen Willen die Beichte abnehmen.«
Sein Lächeln erwidere ich abermals nicht. Etwas frostig sage ich: »Es ärgert mich nicht.«
»Wann«, fährt er fort, »bist du das letztemal an den Tisch des Herrn getreten?«
»Ich war fünfzehn Jahre.«
»Man sagt, daß du von deinem protestantischen Onkel sehr beeinflußt worden bist.«
Er wird mich nicht aufs Glatteis führen! Mit Nachdruck weise ich den Verdacht der Ketzerei zurück.
»Mein Onkel war Protestant. Ich hingegen bin Katholik.«
»Dennoch, du warst sehr lässig geworden.«
»Ja, das war ich.«
»Und du bist es nicht mehr?«
»Du mußt es wissen.«
Das war ohne Freundlichkeit gesagt, und seine schönen Schielaugen blinzeln ein wenig.
»Emmanuel«, erklärt er mit seiner tiefsten Stimme, »wenn du damit auf deine abendlichen Lesungen des Alten Testaments anspielst,
muß ich dir bei aller Anerkennung deiner reinen Absichten sagen, ich glaube nicht, daß diese Lesungen sehr gut für deine Gefährten
sind.«
»Die haben mich ja selbst darum gebeten.«
»Das ist mir nicht unbekannt«, sagt er verstimmt.
Ich sage nichts. Ich verlange nicht einmal eine Erklärung. Im übrigen kenne ich die Erklärung.
|262| »Ich beabsichtige«, fährt Fulbert fort, »in La Roque einen Vikar auszubilden und ihn mit deiner Erlaubnis nach Malevil zu
ordinieren.«
Ich heuchle Verblüffung und sehe ihn an.
»Aber hör mal, Fulbert, wie kannst du einen Priester ordinieren, wenn du gar nicht Bischof bist?«
Demütig senkt er den Blick.
»In normalen Zeiten, natürlich, könnte ich das nicht. Doch sind die Verhältnisse nicht normal. Und die Kirche muß trotzdem
weiterbestehen. Was soll geschehen, wenn ich morgen sterbe? Ohne Nachfolger?«
Das ist von solcher Schamlosigkeit, daß ich mich entschließe, sofort zu reagieren. Ich lächle.
»Natürlich«, sage ich, »natürlich begreife ich sehr wohl, daß gegenwärtig keine Rede davon sein kann, im großen Seminar von
Cahors mit oder ohne Serrurier die Vorlesungen zu hören.«
Jetzt verrät er sich. Sein Gesicht bleibt zwar unbewegt, seine Augen aber haben, kaum eine halbe Sekunde lang, Blitze geschleudert.
Ziemlich
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