Malevil
Wort zu sagen, geht er an seinen Kleiderschrank und nimmt seinen
Regenmantel, seinen Sturzhelm, seine Schutzbrille, seine Handschuhe und den Geigerzähler heraus.
»Wohin gehst du denn?«
»Das Barometer fällt. Ich denke, es wird regnen.«
»Nicht möglich!« rufe ich und werfe einen Blick zum Fenster. Dann gehe ich hin und mache es weit auf. Der Himmel, heute morgen
noch grau, hat sich sehr verdüstert, und vor allem ist jene Reglosigkeit, jene Erwartung in der Luft, die stets dem Regen
vorausgeht. Doch seit der Bombe haben wir uns jeden Tag so oft gewünscht, er möge kommen, daß ich nicht daran glauben kann.
Ich drehe mich um und blicke Thomas an.
»Und wofür all der Plunder?«
»Zur Kontrolle, ob der Regen nicht radioaktiv ist.«
Ich schaue ihn an, und als ich wieder sprechen kann, ist meine Stimme so klanglos, daß ich sie nicht wiedererkenne.
»Könnte das sein? So lange nach dem Tag X?«
»Aber natürlich. Wenn in der Stratosphäre radioaktiver Staub vorhanden ist, wird der Regen ihn mit sich führen. Und die Katastrophe
kannst du dir ausdenken. Das Wasser in unserem Reservoir |267| würde verseucht, das Korn, das du gesät hast, ebenfalls, und wir selbst, wenn wir uns dem Regen aussetzen. Die Folge wäre
der Tod nach einigen Monaten oder Jahren. Der Tod auf Raten.«
Ich schaue ihn an, finde keine Worte. Ich hatte mir das nicht wirklich klargemacht. Wie jedermann in Malevil wünschte ich
den Regen herbei, damit er die Erde wiederbelebe. Ich hatte mir nicht vorgestellt, daß er statt dessen das Werk der Bombe,
noch zwei Monate später, vollenden könnte.
Dieses langsame, verzögerte Sterben ist grauenhaft. Im Moment bin ich starr vor Angst. Ich glaube nicht an den Teufel, doch
wenn ich an ihn glaubte, wie sollte ich nicht denken, daß der Mensch satanisch ist?
»Wir müßten uns alle versammeln«, fährt Thomas fieberhaft fort. »Und den Menschen vor allem empfehlen, nicht hinauszugehen,
sobald es zu regnen beginnt.«
»Die sind doch versammelt«, sage ich. »Zur Messe, im großen Saal!«
»Nun, dann los«, sagt Thomas. »Und rasch, bevor es herunterkommt!«
Für Ironie ist nicht der Moment, und die Vorstellung, daß Thomas der Messe schließlich doch noch beiwohnen wird, berührt mich
kaum. Er geht hinaus, ich ihm nach, und erst im ersten Stock auf der Treppe fällt mir ein, daß ich Peyssou bei seinen Gewehren
vergessen habe. Ich steige allein wieder hinauf, um ihn zu holen, erkläre ihm in zwei Worten die Lage, und wir laufen holterdiepolter
die Treppe hinunter. Als wir im Erdgeschoß den Lagerraum passieren, rufe ich Meyssonnier, sehe ihn aber nirgends. Thomas hat
ihn wohl schon benachrichtigt und mitgenommen. Wir überqueren eiligst den Hof und erreichen den Saal, die Tür steht offen,
wir treten ein, und Peyssou knallt sie hinter mir zu.
Ich sehe auf den ersten Blick, daß wir vollzählig sind, in meiner Panik aber zähle und zähle ich und komme auf elf Personen,
eine zuviel! Und ich zähle abermals, bevor ich begreife, daß die elfte Fulbert ist.
Thomas hat sie bereits gewarnt. Sie schauen mich bleich und wortlos an. Fulbert sieht kreideweiß aus, soviel ich überhaupt
von seinem Gesicht sehen kann, denn er hat die beiden zweiteiligen Fenster im Rücken, während unsere Stühle ihm gegenüber |268| in zwei Reihen auf der andern Seite der Klostertafel stehen. Wer auf die Idee gekommen ist, zwei von den Riesenkerzen aus
den Wandleuchten des Kellers neben Fulberts kleinem Tragaltar aufzustellen, weiß ich nicht, doch der Gedanke ist nur gut,
denn draußen verfinstert sich das Wetter von Minute zu Minute und läßt nur noch ein fahles Weltuntergangslicht hereinscheinen.
In der ersten Reihe ist neben Miette ein Stuhl frei geblieben, und ich will ihn schon besetzen, als ich gewahr werde, daß
ich dann Momo als Nachbarn zu meiner Linken hätte; sogar in der wahnsinnigen Aufregung, in der ich bin, stellt sich der gewohnte
Reflex ein: Ich weiche zurück und setze mich neben Meyssonnier in die zweite Reihe. Peyssou, der hinter mir eingetreten ist,
nimmt den Stuhl, den ich gemieden habe.
Ich glaube, trotz der schönen Stimme Fulberts und des Respondierens von Jacquet, der ihm als Ministrant dient, ist einer Messe
niemals weniger zugehört worden als dieser. Denn wir alle halten den Blick nicht auf den zelebrierenden Priester, sondern
zwischen Hoffnung und Furcht starr auf die Fenster hinter ihm gerichtet. Und mir läuft plötzlich der Schweiß
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