Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
von einer echten Berufung herrührt, der er nicht gefolgt ist. Im Augenblick aber ist mein Kopf leer, ich horche. Der Regen
     trommelt mit solcher Wut, so feindselig und laut gegen die Fensterscheiben, daß sein Geprassel Fulberts Stimme für Momente
     übertönt, und trotzdem geht sie mir nicht ganz verloren, so dünn sie mir jetzt auch erscheint, ich klammere mich an sie, sie
     ist der Faden, den ich in der Finsternis festhalte. Denn es wird dunkel, obgleich die beiden Fenster weiß vom Regen sind,
     dunkler als je. Der große Saal ist nur noch von den zwei dicken Kerzen erleuchtet, deren Flammen zudem im Wind flackern, der
     durch die Ritzen in den Türen und Fenstern hereinbläst. An der Wand erscheint riesenhaft der Schatten Fulberts. Ein wenig
     Licht schimmert auf den Säbelklingen und Hellebarden, mit denen sie behängt ist, alles ist unheilverkündend düster, und ich
     habe das Gefühl, daß wir uns, auf der Flucht vor dem Tode über und um uns, alle elf in einer Katakombe verkrochen haben.
    Ein kurzes Nachlassen des Regens, dann erleuchtet ein erster Blitz die zwei Fenster, im Osten, hinter dem Hügel uns gegenüber,
     rollt der Donner. Die Gewitter in unserer Gegend sind schreckenerregend. Ich fürchtete sie schon in meiner Kindheit. Als ich
     größer wurde, lernte ich, die Furcht zu verbergen, nicht aber zu besiegen. Heute kommt diese Furcht, die mir in die Glieder
     fährt, noch zu der andern hinzu, und ich kann nur mit Mühe verhindern, daß mir die Hände zittern, wenn ich die drei Baumstümpfe
     auf dem Hügel unter den Zickzacklinien des Blitzes aufleuchten sehe und auf das Donnergrollen warte, das |271| ihm folgen wird. Gleichzeitig beginnt der Wind wie tobsüchtig zu pfeifen. Es ist Ostwind. Ich erkenne ihn an der Art, wie
     er sich mit Geheul in dem halbverfallenen Gewölbe fängt, wo ich mein Büro hatte einrichten wollen, und an Türen und Fenstern
     rüttelt. Der Regen verdoppelt seine Wut, und der Wind schleudert ihn jetzt wie Tausende von Speeren gegen die Fensterscheiben.
     Man hat das Gefühl, im nächsten Moment wird er sie eindrücken. Fulbert muß die gleiche Empfindung haben, denn ich sehe, daß
     er den Hals einzieht und den Rücken krümmt, als bräche der Orkan schon über ihn herein. Indessen kann ich zwischen zwei unbarmherzigen
     Donnerschlägen noch immer seine Stimme hören.
    Ich vergrabe die Hände in den Hosentaschen und steife den Nacken. Die Blitze kommen mit methodischer Grausamkeit näher. Der
     Donner rollt nicht mehr, er kracht. Man könnte meinen, Malevil sei zu einem Ziel geworden, auf das sich die Blitze wie Artilleriefeuer
     mit tückischer Genauigkeit einschießen, bevor ein Volltreffer es vernichtet. Sie zeichnen sich nicht mehr als weiße Zackenlinien,
     gebrochene Pfeile und Schnörkel auf dem schwarzen Himmel ab, sondern mit Unterbrechung fällt ein eiskalter, die Augen blendender
     Lichtreflex durch die Fenster, gefolgt von einem sehr heftigen, harten Knall. Das Ohr kann dieses Lärmvolumen kaum ertragen.
     Man möchte davonlaufen, flüchten, sich verstecken. Zwischen den Einschlägen, in den unmeßbar kurzen Flauten des Unwetters,
     ist Fulberts Stimme, jetzt so dünn und zittrig, daß sie zu flackern scheint wie die Kerzenflämmchen, mein einziger Halt. Auch
     ein dumpfes Wimmern ist zu hören, und ich benötige eine Weile, bis ich begriffen habe, daß Momo stöhnt, dessen struppiger
     dicker Kopf, von den Knochenarmen seiner Mutter beschirmt, an der dürftigen Brust der Menou liegt.
    Das Gewitter verzieht sich ohne Übergang. Das ferne, jetzt fast beruhigend wirkende Donnerrollen setzt wieder ein. Es weicht
     zurück und verliert sich im Raum, während der Wolkenbruch einen Höhepunkt erreicht. Um mein Zittern niederzukämpfen, hatte
     ich die Muskeln an Hals, Armen und Schultern so angespannt, daß sie mich schmerzen. Ich versuche, sie zu entkrampfen. Der
     Regen prasselt nicht mehr, er stürzt wie aus Eimern herab. Die kleinen Fensterscheiben sind unter Wasser wie die Windschutzscheiben
     an einem Auto oder wie Bullaugen, |272| an denen sich die Wellen brechen. Der Lärm wird nicht mehr durch feindselige Trommelwirbel erzeugt, sondern von einer Reihe
     dumpfer Aufschläge, die Fulberts entfernte Stimme und Momos Klagelaute zerstückeln. Ich spüre, jemand berührt meinen Ellbogen.
     Es ist Meyssonnier. Gespannt beobachte ich, wie sich der Adamsapfel in seinem Hals angestrengt auf und ab bewegt, während
     er, ohne daß ich einen Laut vernehme, mit mir

Weitere Kostenlose Bücher