Malevil
den Rücken hinunter,
als ich denke: Was wird aus dem Vieh? Wir werden ja immer noch Wein haben. Aber die Tiere? Was sollen sie trinken, wenn das
Wasserreservoir verseucht ist? Und ist dann auch der Erdboden von den radioaktiven Staubteilchen durchtränkt, die der Regen
auf seine Oberfläche und in die Tiefe schwemmt, wer kann sagen, wann das Gift aufhören wird, in die Ernte einzudringen? Ich
wundere mich, daß mir Thomas nie seine Befürchtungen mitgeteilt hat. Wie trügerisch war die Sicherheit, in der er uns durch
sein Schweigen seit dem Tage X leben ließ! Hatte ich doch gemeint, die einzige Naturkatastrophe, die uns noch drohen könnte,
wäre eine endlose Dürre, in der die Flüsse austrocknen und die Scholle in Staub zerfällt. Niemals aber hatte ich mir vorgestellt,
daß uns der Regen, auf den wir täglich gewartet haben, den Tod bringen könnte.
Ich sehe Meyssonnier an, der mir gerade sein Gesicht zuwendet, und was ich darin lese, ist nicht so sehr Angst als maßlose
Verblüffung. Oh, ich kann ihn gut verstehen! Wenn wir Bauern auch mitunter – zum Beispiel anläßlich eines verregneten Juni,
der uns das Heu verdirbt – über schlechtes Wetter schimpfen, so wissen wir doch, daß der Regen unser Freund ist, |269| daß er uns leben läßt und wir ohne ihn weder Getreideernten noch Obst, noch Wiesen oder Quellen hätten. Und jetzt sollen wir
das Unfaßbare fassen: daß der Regen die töten kann, die er ernährt.
Meyssonnier wendet die Augen wieder dem Fenster zu, ich ebenfalls. Man hätte es nicht für möglich gehalten, aber draußen hat
es sich weiter verdüstert. Der kahle geschwärzte Hügel jenseits der Rhunes sieht mit den drei Baumstümpfen auf seinem Gipfel
wie ein in Finsternis gehülltes Golgatha aus. Ein fahler, flach einfallender Schein beleuchtet ihn von hinten, seine Umrisse
heben sich vom dunklen Himmel durch eine weißliche Linie ab. Der Hügel selbst ist anthrazitgrau, die Wolken über ihm aber
sind tintenschwarz und weisen nur hier und da etwas hellere Streifen auf. Der Anblick wechselt unheilverkündend von Augenblick
zu Augenblick. Ich bin wie hypnotisiert. Ich bete nicht, ich höre Fulbert nicht zu, und sonderbarerweise stellt sich in meinem
Geist dennoch zwischen dem, was ich vor Augen habe, und dem Singsang seiner Worte eine Art Verbindung her. Für den Augenblick
vergesse ich, wer Fulbert mit seiner Hochstapelei und seinen Listen ist, nur seine Stimme zählt. Ich höre nicht auf seine
Messe, höre aber doch, daß dieser falsche Priester sie sehr gut, mit würdigem Ernst und innerer Anteilnahme liest. Ich höre
nicht auf die Messe, doch ich weiß, wovon sie erzählt: von der Angst vor zweitausend Jahren, von der gleichen Angst, in der
wir hier gerade leben, während wir auf die Fenster starren.
Die Wolken sind so schwarz und niedrig, daß ich jetzt sicher bin, der Regen wird gleich losbrechen. Endlos sind die Minuten,
die ihm vorausgehen! Er läßt sich Zeit! Und das Warten wird zu solcher Tortur, daß ich fast wünsche, der Regen wäre schon
da, er machte Schluß mit uns und der Geigerzähler würde unser Todesurteil verkünden. Ich werfe einen Blick auf Meyssonnier,
der neben mir sitzt, ich sehe den Adamsapfel in seinem mageren Hals hochsteigen. Er schluckt an seinem Speichel. Ich bemerke
auch das Profil von Thomas, der mit Mühe seine aneinanderklebenden Lippen löst, um sie mit der Zunge anzufeuchten. Ich bin
sicherlich nicht der einzige, der spürt, wie ihm Körper und Handflächen schweißnaß werden. Wäre meine Nase fein genug, könnte
ich den Schweiß- und Angstgeruch wahrnehmen, den diese elf reglosen Körper ausströmen.
|270| Ich habe Fulberts Meßgebete – ihren Klang und nicht die Worte – immerzu im Ohr. Jetzt aber kann ich in der schönen tiefen
Stimme unseres Gastes einen Sprung, ein Zittern wahrnehmen. Endlich haben wir, Fulbert und ich, nun doch etwas miteinander
gemein. Ich hätte Lust, es ihm zu sagen. Daß alle diese Spannungen und Haßgefühle zu nichts mehr gut sind, daß der Regen kommt
und uns versöhnen wird.
Dennoch, als er dann, wie erwartet, losbricht, wirkt es wie eine elektrische Entladung, wir zucken zusammen, und die Stille
hernach wird noch tiefer. Fulberts Stimme verliert weiter an Glätte, wird heiser und brüchig, hält aber trotzdem durch. Fulbert
fehlt es nicht an Mut noch, scheint mir, an Glauben. Später werde ich mich dem Gedanken nähern, daß sein Hochstaplertum vielleicht
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