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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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verstecken.
    Das wird schnell und geräuschlos ausgeführt. Die Reuse ist geschlossen. Die zwei Steilhänge, die den Weg einengen, werden
     von unserem Kreuzfeuer bestrichen. Jeder Rückzug ist abgeschnitten, jede Flucht nach vorn unmöglich.
    Mit Colin, den kaum die Straßenbreite von mir trennt, habe ich Sichtverbindung. Maurice behalte ich an meiner Seite, um |482| ihn im Bedarfsfall mit einer Weisung zu Meyssonnier zu schicken, der sie seinerseits an Hervé, sein Gegenüber, weitergeben
     kann.
    Wir warten. Der Draht mit meinem Aushang ist intakt geblieben. Heute am frühen Morgen sind Vilmains Männer, da sie keine Zange
     bei der Hand hatten, um ihn abzukneifen, unter dem Hindernis durchgekrochen. In wenigen Minuten werden sie es wieder passieren.
     Hier haben sie ihr Rendezvous mit dem Tod. Es weht kein Wind. Mein Plakat hängt, die Straße versperrend, steif und unabweislich
     da, mein Zeichenpapier strahlt in der Sonne. Hätte ich meinen Feldstecher bei mir, könnte ich die Buchstaben lesen, die ich
     gezeichnet habe. Ich denke an Evelyne. Ich fühle wohl, daß es grausame Ironie ist, Vilmains Männer unterhalb des Aushangs,
     der ihnen das Leben verspricht, wie Hasen abzuschießen. Dennoch, Evelyne selbst liefert mir einen der Gründe, sie zu vernichten.
     Darf ich vergessen, was sie getan hätten, wenn es ihnen gelungen wäre, sich Malevil »vorzunehmen«?
    Die Erde ist kalt unter meinem Körper, doch die Sonne wärmt bereits meinen Kopf, meine Schultern und Hände. Maurice liegt
     auf Tuchfühlung an meiner Seite. Er hat eine Art zu schweigen und sich nicht zu rühren, die ich angenehm finde. Nichts wirkt
     belastend an ihm, nicht einmal seine Gegenwart. Zwei kleine Büsche, die uns störten, haben wir niedergetreten, nun warten
     wir wortlos und überwachen sechzig Meter einer Geraden zwischen zwei Wegkrümmungen. Colin sieht weiter als wir, denn er liegt
     in der Sehne der zweiten Krümmung, und wenn er sich umdreht, kann er zusätzlich dreißig Meter einsehen, die unserer Sicht
     entzogen sind.
    Das erste Geräusch, das ich höre, macht mich stutzig. Es ist ein Knirschen. Es scheint sich mühsam auf uns zuzubewegen. Dieses
     Geräusch ist nicht tierisch. Es ist technisch. Abgesehen davon, daß es immer wieder aussetzt, erweckt es die Vorstellung,
     daß eine Brunnenkette um die Achse einer Winde aufgerollt wird. Doch setzt es regelmäßig aus: Das Knirschen kommt nach je
     zwei Takten wieder.
    Ich blicke Maurice an und ziehe die Augenbrauen hoch. Maurice flüstert mir ins Ohr.
    »Eine Fahrradkette?«
    Er hat recht. Ich überlege und frage mich, ob es nicht das |483| Fahrrad ist, das Bébelle in der Nähe von Malevil versteckt hat und das wir zu bergen versäumt haben. Wenn es das ist, haben
     wir einen schweren Fehler begangen und müssen nun dafür büßen.
    Denn ich brauche Maurice nicht erst zu fragen, wer dort unten allein an der ersten Kurve auftaucht. Ich erinnere mich der
     Beschreibung durch Hervé. Ich erkenne das Individuum an seinen schwarzen Augenbrauen, die sich wie ein fortlaufender Strich
     über die Stirn ziehen. Es ist Jean Feyrac. Und während er die sechzig Meter Steigung in Angriff nimmt, die ihn von mir trennen,
     erkenne ich das Rohr der Panzerfaust zwischen seinen Beinen. Er hat es am Rahmen seines Fahrrads befestigt, die Steigung ist
     beschwerlich, er muß sich sehr anstrengen. Er fährt in Zickzackkurven, und es ist nicht ausgeschlossen, daß er gezwungen ist
     abzusteigen. Wir haben viel Zeit.
    Viel Zeit wofür? Der Schweiß rinnt mir übers Gesicht. Feyrac ist der neue Anführer. Und überdies, Hervé zufolge, ein entschlossener
     und erbarmungsloser Mann. Ich müßte ihn abschießen. Aber wenn ich ihn abschieße, warne ich damit den Haupttrupp, der sich
     mit einem Kilometer Abstand zu Fuß hinterherschleppt. Auf meinen Schuß hin würden diese Männer die Straße verlassen, in den
     Niederwald eindringen und, wer weiß, vielleicht auf Evelyne und die Pferde stoßen. Jedenfalls verlöre ich im Unterholz den
     Vorteil unserer Stellung, ich stünde dem Feind mit fünf gegen sieben gegenüber, nichts wäre entschieden.
    Wie ich vorausgesehen habe, muß Feyrac in Höhe des Plakats absteigen und sich bücken, um unter dem Draht hindurchzukriechen.
     Er ist kurzbeinig und untersetzt, das Gesicht ist unangenehm, verschlossen. Während ich ihn betrachte, denke ich mit Abscheu
     an das Massaker von Courcejac. Gleichwohl, ich habe meine Wahl getroffen, ich will ihn passieren lassen,

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