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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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hören,
     fahren sie heftig zusammen. Sie heben den Kopf. An den Böschungen, die beiderseits die Straße säumen, rührt sich kein Blatt.
     Bestürzt schauen sie sich nach allen Seiten um. Sie schauen sogar auf mein Plakat, als könnte von dort meine Stimme kommen.
     Eben noch haben sie mich in Malevil belagert, und jetzt befinde ich mich hier! Und rufe sie bei ihren Namen!
    |486| Sie gehorchen langsam, mit stockenden Bewegungen. Manche Gewehre liegen unter den Körpern ihrer Besitzer, und um sie hervorzuholen,
     müssen sie Hand an die Leichen legen. Ich bemerke, daß sie das mit großer Behutsamkeit tun und auch vermeiden, in das Blut
     der Toten zu treten.
    Als sie fertig sind, pfeife ich wiederum dreimal. Ich lasse mich über die Böschung hinuntergleiten und lande, gefolgt von
     Maurice, auf der Straße. Colin tut es mir nach und, vierzig Schritt weiter unten, Hervé und Meyssonnier.
    Ich sage kurz angebunden »Hände in den Nacken!«, und die Gefangenen gehorchen. Ich sehe, daß Meyssonnier sich methodisch davon
     überzeugt, ob die fünf Gefallenen richtig tot sind. Ich bin ihm dankbar. Es ist eine Aufgabe, die ich nicht gern übernommen
     hätte. Niemand läßt ein Wort hören. Obgleich ich heftig schwitze, sind mir die Beine kalt geworden und eingeschlafen. Ich
     mache ein paar Schritte auf der Straße. Sehr weit komme ich nicht. Überall Blut. Ich atme seinen faden, durchdringenden Geruch
     ein. Auf der blaugrauen Straße erscheint mir das Rot stark leuchtend. Aber ich weiß, bald wird es sich trüben und schwärzen.
     Unbegreifliche Gattung Mensch. Dieses kostbare Blut, das man in der Welt von vorher in Gruppen eingeteilt, gesammelt und gespeichert
     hat, während man es zur gleichen Zeit anderswo verschwenderisch vergoß. Ich betrachte diese jungen Toten. Auf den Blutlachen,
     in denen sie liegen, nicht eine Fliege, nicht eine Mücke. Vergossenes schönes rotes Blut, unnütz für alle – sogar für die
     Insekten.
    »Hochwürden«, sagt plötzlich der magere Gefangene.
    »Laß das Hochwürden weg.«
    »Darf ich die Hände herunternehmen? Entschuldigen Sie, ich muß mich gleich erbrechen.«
    »Nur zu, mein Junge.«
    Torkelnd erreicht er den Sommerweg der Straße, läßt sich auf die Knie nieder und stemmt die Arme auf den Boden. Ich sehe,
     wie sein Rücken beim Aufstoßen zuckt, und fühle, wie mir selbst übel wird. Ich schüttle mich.
    »Hervé, du holst das Fahrrad und die Panzerfaust. Und überzeuge dich, ob Feyrac wirklich tot ist.«
    Ich wende mich an die Gefangenen, erlaube ihnen, die Hände herunterzunehmen und sich zu setzen. Sie haben es bitter nötig
     zu sitzen. Der kleine Kahle mit der Wampe ist Burg, |487| der Koch. Lebhafte schwarze Augen, schlaues Gesicht. Der Schlottrige, dessen Nerven nicht durchhalten, ist Jeannet. Sie betrachten
     mich mit abergläubischem Respekt.
    Ich bekomme viel zu hören. Armand ist gestern morgen an dem Messerstich, den er erhalten hat, gestorben. Vilmain hat, kaum
     ins Schloß eingezogen, Josepha hinausgeworfen: Von einer Frau wollte er nicht bedient werden. Burg hat die Küche übernommen,
     und Jeannet hat bei Tisch serviert. Auch Gazel hat bei Vilmains Ankunft das Schloß verlassen, aber ganz aus eigenem Antrieb.
     Aus Empörung über den Mord an Lanouaille.
    Ich traue meinen Ohren nicht. Ich lasse sie diese Information wiederholen. Ein Bravo für den ungeschlechtlichen Clown! Wer
     hätte voraussehen können, daß er so viel Mut beweisen würde?
    »Es war nicht nur des Fleischers wegen«, sagt Burg. »Es war auch, weil Gazel die Übertretungen nicht gebilligt hat.«
    »Die Übertretungen?«
    »Na, die Vergewaltigungen eben«, sagt Burg. »Er nannte das so.«
    Hervé kommt zurück, er schiebt das Fahrrad mit der Panzerfaust vor sich her. Sein Gesicht ist oberhalb des schwarzen Bärtchens
     bleich, seine Züge sind verzerrt. Er lehnt das Rad an die Böschung, entledigt sich eines der beiden Gewehre, die er trägt,
     und tritt heran.
    »Feyrac ist nicht tot«, sagt er tonlos. »Er hat große Schmerzen. Er hat mich um Wasser gebeten.«
    »Na und?«
    »Was soll ich tun?«
    Ich sehe ihn an.
    »Sehr einfach. Du nimmst das Auto, fährst nach Malejac, rufst die Klinik an und verlangst einen Krankenwagen. Und nächsten
     Sonntag besuchen wir ihn und bringen ihm Orangen.«
    Sonderbar, so wütend ich auch bin: Je länger ich mich solcher Worte von einst bediene, desto trauriger wird mir zumute.
    Hervé senkt den Kopf und kratzt mit der Schuhspitze auf dem

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