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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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die man ihm niemals
     zugetraut hätte.
    Für den Augenblick aber frappiert mich nicht die Ironie.
    »Ich, Bischof von La Roque?« protestiere ich lebhaft. »Mein Platz ist doch in Malevil! Hast du es ihnen nicht erklärt?«
    »Warte, sie wissen ja, daß du Malevil nicht aufgeben wirst. Aber wenn ich recht verstanden habe, möchten sie jemand haben,
     der über Gazel steht und ihn mäßigen kann. Sie mißtrauen seinem Eifer.« Er beginnt zu lachen. »Die Idee kam von Judith, und
     ich habe mich tüchtig ins Zeug gelegt.«
    »Du hast dich ins Zeug gelegt?«
    »Aber natürlich. Erstens glaube ich, daß es wirklich besser ist, wenn du Gazel im Nacken sitzt. Und dann, habe ich mir gesagt,
     werde ich dich häufiger sehen. Denn immerhin«, fügt er halblaut hinzu, »Malevil zu verlassen …«
    Ich blicke ihm ins Gesicht. Auch er blickt mir ins Gesicht. Nach einer Weile wendet er den Kopf ab. Ich weiß nichts zu sagen.
     Wohl weiß ich, was er empfindet. Peyssou, Colin, Meyssonnier und ich, wir haben uns seit der Schulzeit niemals getrennt. Ein
     Beweis ist, daß Colin, nachdem er in La Roque sein Klempnereigeschäft eröffnet hatte, in Malejac wohnen blieb. Und jetzt ist
     das vorbei. Der Zirkel zerflattert. Das wird mir in dieser Minute klar. Auch für uns in Malevil wird es eine schmerzliche
     Trennung sein, Meyssonnier nicht mehr bei uns zu haben.
    Ich lege ihm die Hand auf die rechte Schulter.
    »Laß nur, du wirst sehen, hier wirst du eine Mordsarbeit haben«, sage ich ziemlich linkisch.
    Das sage ich zu ihm, als hätte die Schinderei jemals einen Menschen trösten können.
    Thomas tritt zu uns und beglückwünscht mich in gemessenem Ton. Dann ist Jacquet an der Reihe. Peyssou sehe ich nicht. Meyssonnier
     zeigt ihn mir, in ein paar Meter Entfernung sehr in Anspruch genommen. Die Judith, glücklich, endlich einen Mann getroffen
     zu haben, der sie um einen ganzen Kopf überragt, hat ihn fest neben sich vertäut. Während sie mit ihm redet, läßt sie ihren
     Blick über seine ausgedehnten Proportionen schweifen. Die Bewunderung ist wohl gegenseitig, denn als wir wieder in Malevil
     sind, wird Peyssou zu mir sagen: Hast |536| du diesen Brocken gesehen? Eine solche Frau im Bett, wetten, das muß geräuschvoll sein! So weit sind sie noch nicht. Im Augenblick
     befühlt sie seinen Bizeps. Ich sehe meinen Peyssou, der ihn selbstverständlich anspannt. Eine Schwellung, die Judith Vergnügen
     machen muß.
    »Was vorhin war«, sagt Meyssonnier zu mir, »vergiß es, die Stimmung war ein wenig unten.«
    Es rührt mich sehr, daß er daran denkt, sich wegen seiner Kühle zu entschuldigen, aber wiederum weiß ich nicht, was ich antworten
     soll, und ich schweige.
    »Du mußt verstehen«, fährt er fort, »als du mich nach dem Überfall allein gelassen hast, um die anderen aus Malevil abzuholen,
     bin ich auf der Straße eine ganze Weile mitten unter Leichen gewesen, und da habe ich nicht eben fröhliche Gedanken gewälzt.«
    »Was für Gedanken?«
    »Nun, zum Beispiel dieser Feyrac, dem wir den Gnadenschuß geben mußten. Angenommen, einer von den Unsern kriegt eine schwere
     Verwundung ab. Was tun wir? Ohne Arzt, ohne Medikamente, ohne Operationsbesteck. Es wäre scheußlich, ihn draufgehen zu lassen,
     ohne ihm zu helfen.«
    Ich schweige. Ich habe daran gedacht. Auch Thomas, ich sehe es an seiner Miene.
    »Wir stecken tief im Mittelalter«, fährt Meyssonnier fort. Ich schüttle den Kopf.
    »Nein, nicht ganz. Freilich, es gibt eine Analogie in der Situation, im Mittelalter hat man es mit Zeiten wie dieser hier
     zu tun gehabt. Doch vergißt du eines. Das Niveau unserer Kenntnisse ist weitaus höher, selbst wenn ich von der beträchtlichen
     Menge Wissen absehe, die in meiner kleinen Bibliothek in Malevil aufbewahrt ist. Das bleibt uns nämlich. Und das ist sehr
     wichtig, weißt du. Weil es uns eines Tages erlauben wird, alles zu rekonstruieren.«
    »Aber wann?« fragt Thomas überdrüssig. »Zur Zeit verbringen wir unser Leben damit, daß wir zu überleben versuchen. Die Plünderer,
     der Hunger. Morgen die Seuchen. Meyssonnier hat recht, wir sind in die Zeit der Jeanne d’Arc zurückgefallen.«
    »Aber nein«, sage ich lebhaft. »Wie kann sich ein Mathematiker wie du so irren? Geistig sind wir weitaus besser ausgerüstet |537| als die Menschen zur Zeit der Jeanne d’Arc. Wir werden nicht Jahrhunderte brauchen, um wieder unser technologisches Niveau
     zu erreichen.«
    »Und um alles von neuem zu beginnen?« fragt

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