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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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ich nicht den Anschein erwecken will, bei der Wahl Druck auf La Roque auszuüben, verziehe ich mich und gehe
     unterdessen Monsieur Gazel aufsuchen.«
    Ich lächle sie an, und nach kurzem Zögern ist sie so freundlich, mir meinen Bizeps zurückzuerstatten. Abgesehen von kleinen
     Fehlern, ist diese Frau das Salz der Erde. Ich bin nahezu sicher, daß sie sich mit Meyssonnier gut verstehen wird.
    Burg führt mich durch ein Labyrinth von Gängen in Fulberts Zimmer, wo ich unserer Antigone, die tatsächlich sehr aufgebracht
     und entschlossen ist, dem gefallenen Feinde, koste es, was es wolle, die Riten unserer Religion zu sichern, Mut mache. Ich
     werfe einen Blick auf die sterbliche Hülle Fulberts. Ich wende die Augen sofort ab. Sein Gesicht ist eine einzige Wunde. Und
     jemand muß ihn erstochen haben, denn ich sehe Blut auf seiner Brust. Meiner Unterstützung sicher, bezeigt mir Gazel lebhafte
     Dankbarkeit, und da er angefangen hat, Ordnung in Fulberts Papiere zu bringen (ich habe ihn im Verdacht, von einer brennenden
     Altjungfernneugier besessen zu sein), macht er mir das Angebot, mir den Brief zurückzugeben, in dem ich im Namen der Geschichte
     die Lehnshoheit über La Roque zurückgefordert habe. Ich nehme an. Was ehedem Kriegsrecht war, um Fulbert einzuschüchtern,
     entspricht nicht mehr dem gegenwärtigen Stand unserer Beziehungen zu La Roque. Im Gegenteil, wenn ich den Brief hierließe,
     müßte ich befürchten, daß er eines Tages von böswilligen Menschen ausgenutzt werden könnte.
    Gleich auf der Esplanade des Schlosses, die ich überqueren muß, um an das große dunkelgrüne Portal zu gelangen, empfängt mich
     die Sonne, und ihre Wärme weitet mir das Herz. Ich |530| denke, daß der Gemeinderat von La Roque im Schloß einen vielleicht weniger schönen, aber dafür helleren und trockeneren Saal
     als die Kapelle wird finden müssen, um alle Einwohner zu versammeln.
    Agnès Pimont wohnt in der Traverse über dem kleinen Buch-, Papierwaren- und Zeitungsladen, den ihr Mann innehatte, in einem
     sehr alten, sehr putzigen Häuschen, in dem alles klein ist, einschließlich der sehr steilen Wendeltreppe, die ins Obergeschoß
     führt und auf der ich in den Kehren die Schultern schräg halten muß. Agnès empfängt mich auf dem Treppenabsatz und führt mich
     in ein winziges Wohnzimmer, das von einem nicht weniger winzigen Fenster erhellt wird. Das Ganze wirkt wie ein Puppenhaus,
     ein Eindruck, den einst noch ein Blumenkasten mit Geranien über der Straße verstärkte. Die Wände sind mit goldbrauner Jute
     bespannt, und wenn sich bei den zwei Lehnsesseln, den niedrigsten und breitbeinigsten aller Lehnsessel, noch nicht die Frage
     erhebt, wie das alles hier hereinkommen konnte, so fragt man sich angesichts des mit blauem Velour bespannten Diwans um so
     mehr danach, denn das Fenster und die Treppe sind zu schmal. Vielleicht hat er immer schon dagestanden, noch bevor die Mauern
     errichtet worden sind. Alt genug sieht er aus, wenn auch ohne erkennbaren Stil, während das in den enormen steinernen Türsturz
     über dem Haustor eingemeißelte Datum darauf hinweist, daß das Haus unter Ludwig XIII. erbaut wurde. Auf dem Fußboden des Wohnzimmers,
     zwischen den beiden kleinen Lehnsesseln und dem Diwan, findet sich ein Plüschbelag und auf dem Plüschbelag ein in Frankreich
     hergestellter Orientteppich und auf dem Teppich ein imitiertes Fell von weißer Farbe. Die beiden letzten Stücke haben die
     Pimonts vermutlich geerbt und sie, da sie nicht wußten, was sie in einer so kleinen Behausung damit anfangen sollten, einfach
     übereinandergelegt. Das alles ist ziemlich mollig. Und entsprechend ist auch der Empfang durch Agnès, frisch, rosig und blond
     mit guten, schönen Augen von hellem Kastanienbraun, die mir, ich sagte es, immer den Eindruck gemacht hatten, als wären sie
     blau. Sie läßt mich auf einem der Lehnsessel Platz nehmen, wo ich mich so tief unten und so nahe dem weißen Fell finde, daß
     ich mir vorkomme, als säße ich zu Füßen von Agnès, die auf dem Diwan ruht.
    In ihrer Gesellschaft stellt sich bei mir immer ein Gefühl von |531| Intimität und Vertrauen, aber auch von Melancholie ein. Ich hätte sie beinahe geheiratet, und weit davon entfernt, mir das
     Scheitern dieses Planes nachzutragen, hält sie mir die Freundschaft. Ich schätze sie dafür. Nicht ein Mädchen von tausend
     hätte wie sie reagiert. Und jedesmal wenn ich ihr begegne, sage ich mir nicht ohne Bedauern: Hier ist einer

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