Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
mich in der Diskussion
     gern stütze, doch nicht das Wesentliche. In Wirklichkeit steht zur Wahl: die Familienzelle oder eine nicht auf Besitz gegründete
     Gemeinschaft.
    Ich denke, ich darf Agnès nicht einmal sagen, welches Opfer ich bringe, wenn ich auf sie verzichte. Wenn ich es ihr sagte,
     würde ich sie in ihrem »Gefühl« bestärken.
    »Agnès«, sage ich und beuge mich vor, »allein schon Colins wegen wäre es nicht möglich. Wenn ich dich heirate, wird er schrecklich
     enttäuscht und eifersüchtig sein. Wenn du ihn heiratest, wäre ich darüber auch nicht glücklich. Und da ist nicht nur Colin,
     sondern auch die übrigen.«
    Colin ist ein Argument, das sie berührt. Und da sie überdies meine Unbeugsamkeit spürt und auch jetzt nicht daran denkt, La
     Roque Malevil vorzuziehen, weiß sie nicht mehr, woran sie ist. Sie bezieht eine weibliche Position, die schließlich auch nicht
     schlechter ist als eine andere. Sie flüchtet sich in Schweigen und in Tränen. Ich erhebe mich von dem Lehnsessel, setze mich
     neben sie auf den Diwan und nehme ihre Hand. Sie weint. Ich verstehe sie. Gleich mir ist sie dabei, einem oft erträumten möglichen
     Weg ihres Lebens zu entsagen.
    Als ich die Tränen versiegen sehe, reiche ich ihr mein Taschentuch und warte. Sie sieht mich an.
    »Ich bin vergewaltigt worden, wußtest du das?« sagt sie mit leiser Stimme.
    »Ich wußte es nicht. Ich ahnte es.«
    »Alle Frauen im Dorf sind vergewaltigt worden, sogar die Alten, selbst Josepha.« Da ich still bleibe, fährt sie fort: »Ist
     es deshalb, daß …« Ich protestiere: »Du bist ja verrückt! Es gibt nur einen Grund, den habe ich dir angegeben!«
    »Weil es ungerecht wäre, weißt du, Emmanuel. Selbst wenn ich vergewaltigt worden bin, eine Hure bin ich trotzdem nicht.«
    »Dessen bin ich doch sicher«, sage ich mit Nachdruck. »Es ist ganz und gar nicht deine Schuld, ich dachte nicht daran!«
    Ich nehme sie in meine Arme, mit bebender Hand streichle ich ihr die Wange und das Haar. In diesem Augenblick sollte ich vor
     allem Mitgefühl empfinden, aber ich fühle nichts als |534| Begierde. Sie befällt mich unversehens und hat mich mit einer Brutalität in der Gewalt, die mich entsetzt. Mein Blick verschwimmt,
     mein Atem verändert sich. Es bleibt mir gerade noch so viel Klarheit, daran zu denken, daß ich um jeden Preis und sofort ihr
     Einverständnis erlangen muß, wenn ich mich meinerseits nicht darauf einlassen will, sie zu vergewaltigen.
    Ich bedränge sie. Ich fordere sie auf, mir zu erwidern. Obschon sie passiv in meinen Armen ist, zaudert sie, widersteht sie
     noch, und als sie schließlich einwilligt, ist sie wohl mehr von meiner Begierde angesteckt als von meinen Gründen überzeugt.
    Wir lassen uns auf das weiße Fell, das nun seine Bestimmung findet, hinuntergleiten, ohne daß auch nur für einen Moment mein
     Zartgefühl für sie zutage träte. Man könnte meinen, ich hätte dieses Zartgefühl in einem Winkel meines Bewußtseins eingeschlossen,
     damit es aufhöre, mich zu stören. Und ich nehme Agnès mit Roheit, mit Gewalt.
    Dennoch, nachdem dieser Lustraub geschehen ist, büße ich auch meinerseits dafür. Wenn es wahr ist, daß man auf verschiedenen
     Ebenen glücklich sein kann, bin ich es auf der niedrigsten. Aber bleibt nach all diesem Kampf und Blut noch Raum für ein anderes
     Glück als das Überleben der Gruppe? Ich gehöre mir nicht mehr: das eben erkläre ich ihr, als ich ihr auf Wiedersehen sage,
     schmerzlich berührt auch, weil sie mich, wie schon Meyssonnier vor einer Stunde, ein wenig frostig verabschiedet.
    Meyssonnier jedoch, den ich nach der Sitzung des Gemeinderates in der dämmrigen Kapelle wiedersehe, finde ich entspannter,
     freundschaftlicher. Er kommt auf mich zu und zieht mich beiseite.
    »Wo warst du? Wir haben dich überall gesucht. Nun«, sagt er mit seiner gewohnten Zurückhaltung, »es macht nichts. Hör zu,
     ich habe gute Nachrichten. Es ist glattgegangen. Sie haben die ganze Liste gewählt, dann auf Judiths Vorschlag Gazel mit einer
     ziemlich schwachen Mehrheit zum Pfarrer gewählt. Und schließlich, weil sie einmal dabei waren, haben sie dich zum Bischof
     von La Roque gewählt.«
    Ich bin verdutzt. Daß diese Beförderung zum Bischof zeitlich mit der eben beendeten Unterhaltung zusammenfällt, ist unübertrefflich!
     Freilich, Abwesende stehen in Gunst. Aber |535| wenn ich den Finger Gottes darin sehen soll, zeigt er für die Schwächen des Fleisches doch eine Nachsicht,

Weitere Kostenlose Bücher