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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Austausch
     von Bemerkungen unterbrochen. Peyssou beispielsweise war sehr betroffen über die Diskriminierung, die Kain von seiten des
     Herrn zu erdulden hatte.
    |145| »Findest du das gerecht?« sagte er zu mir. »Da hast du den Burschen, der sich abgerackert hat, damit das Gemüse kommt, der
     gräbt dir um, bewässert und hackt das Unkraut, was einem immerhin saurer wird, als seine Hammel spazierenzuführen, und der
     Herr, der sieht seine Geschenke nicht einmal an? Und für den andern Pinsel, der sich nur an den Hintern seiner Schafe gehängt
     hat, für den sind dann die Gunstbeweise?«
    »Der Herr«, sagte die Menou, »hat wohl schon geahnt, daß Kain den Abel töten wird.«
    »Um so mehr Grund«, sagte Colin, »durch Ungerechtigkeiten keine Zwietracht zwischen den Brüdern zu säen.«
    Meyssonnier, die Ellbogen auf den Knien, neigte sich dem Feuer zu und sagte mit heimlicher Genugtuung: »Da Er allwissend war,
     hat Er den Mord voraussehen müssen. Und wenn Er ihn vorausgesehen hat, warum hat Er ihn nicht verhindert?«
    Doch diese spitzfindige Überlegung kam bei seinen Gefährten nicht an, sie war zu abstrakt.
    Je länger Peyssou nachdachte, um so mehr identifizierte er sich mit Kain.
    »Wohin du dich wendest«, sagte er, »das Schoßkind hast du überall. Nimm mal Monsieur Le Coutellier in der Schule: Colin in
     der ersten Reihe neben dem Ofen. Und ich im Klassenzimmer ganz hinten in der Ecke, die Arme auf dem Rücken verschränkt. Und
     was hatte ich getan? Nichts!«
    »Du übertreibst, weißt du«, sagte Colin mit seinem wieder auftauchenden Lächeln. »Le Coutellier hat dich in die Ecke gestellt,
     weil du dir dein … du weißt schon, was, durch die Hosentasche befummelt hast.«
    Bei dieser schönen Erinnerung mußten wir lachen.
    »Deshalb ja gerade«, präzisierte Colin, »ließ er dich die Arme auf dem Rücken verschränken.«
    »Trotzdem«, sagte Peyssou, »es macht einen mit Gewalt bösartig, immerzu der Schwarze Peter zu sein. Nimm diesen braven Kain,
     der Mohrrüben wachsen läßt und sie dem Herrn bringt. Aber da siehst du’s, nicht einen Blick! Das beweist dir deutlich«, setzte
     er bitter hinzu, »daß sich die Herrschenden bereits damals nicht für den Ackerbau interessiert haben.«
    Obgleich die Herrschenden jetzt verschwunden waren, fand diese Bemerkung allgemeine Zustimmung. Nun trat Schweigen ein, und
     ich konnte mit dem Lesen fortfahren. Doch als ich |146| zu dem Punkt kam, da Kain sein Weib erkannte und von ihr einen Sohn namens Enoch hatte, unterbrach mich die Menou.
    »Und die da, wo kommt die denn her?« fragte sie lebhaft.
    Sie saß hinter meinem Rücken auf der Kaminbank, Momo, halb eingeschlafen, ihr gegenüber.
    Ich wandte den Kopf über meine Schulter.
    »Wer, die da?«
    »Kains Weib.«
    Sprachlos blickten wir uns an.
    »Der Herr«, sagte Colin, »hatte vielleicht anderswo einen anderen Adam und eine andere Eva erschaffen.«
    »Nein, nein!« sagte Meyssonnier, stets korrekt. »Hätte er das getan, würde das Buch es sagen.«
    »War sie dann seine Schwester?« fragte Colin.
    »Von wem die Schwester?« Peyssou beugte sich vor und sah ihm ins Gesicht.
    »Kains Schwester.«
    Peyssou blickte Colin an und schwieg.
    »Danke bestens«, sagte die Menou.
    »Na aber!« sagte Peyssou.
    Kurzes Schweigen. Merkwürdig, wie ihnen, die sich so gern in derben Späßen ergingen, der Inzest die Sprache verschlug. Vielleicht
     gerade, weil sie vom Lande waren.
    Ich fuhr mit dem Lesen fort, kam aber nicht weit.
    »Enoch«, sagte Peyssou plötzlich, »das ist ein jüdischer Name. Beim Regiment«, erklärte er wichtig und mit Kennermiene, »kannte
     ich einen Burschen, der hieß Enoch. Das war ein Jude.«
    »Sehr erstaunlich ist das nicht«, sagte Colin.
    »Und warum ist das nicht sehr erstaunlich?« fragte Peyssou und beugte sich wiederum vor, um ihm ins Gesicht zu sehen.
    »Weil ja Enochs Eltern auch Juden waren.«
    »Die waren Juden?« fragte Peyssou.
    »Die Großeltern auch.«
    »Was!« rief Peyssou. »Adam und Eva waren Juden?«
    »Na und?«
    Peyssou stand der Mund offen. Ohne sich zu rühren, starrte er Colin eine ganze Weile an.
    »Wir aber«, sagte er schließlich, »wir stammen doch auch von Adam und Eva ab.«
    |147| »Na ja.«
    »Dann sind wir auch Juden?«
    »Na ja«, sagte Colin nachlässig.
    Peyssou ließ sich mit dem Rücken gegen die Sessellehne sinken.
    »Na weißt du, das hätte ich nicht gedacht.«
    Er grübelte über diese Entdeckung nach und fand in ihr wohl den Beweis, daß er

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