Malevil
säuberte und glatthobelte, verfertigte |143| Meyssonnier einen Meßstab mit Gradeinteilung, an dem wir ablesen konnten, daß der Verbrauch aus dem ersten Faß nach Ablauf
von vierzehn Tagen noch recht gering war. Nach den Berechnungen von Thomas würden wir bei diesem Tempo sechs Jahre brauchen,
um es zu leeren. Danach aber müßten wir eine andere Lichtquelle finden, denn es war ja recht unwahrscheinlich, daß irgendein
Nußbaum die Vernichtung der Flora überlebt hatte.
Es waren mir auch zwei Taschenlampen mit zwei nahezu neuen Batterien geblieben. Eine davon vertraute ich der Menou für den
Torbau an, die andere bewahrte ich für den Bergfried auf; sie sollten natürlich nur im Falle eines unvorhergesehenen Ereignisses
benutzt werden.
Thomas schlug vor, den Mist der drei Stuten auf den Fliesen der Plattform unterhalb des Wasserbehälters zu lagern und auf
diese Weise den Komfort des Badezimmers zu erhöhen. Unter diesen Fliesen und um sie herum verlief die Kaltwasserleitung. Thomas
meinte, bei Vergärung des Mistes würden genügend Kalorien frei, sie zu erhitzen. Wir alle waren anfangs skeptisch, aber das
Experiment gelang. Und in dem primitiven Zustand, auf den wir abgesunken waren, stellte es einen ersten Wiederaufstieg, einen
ersten Sieg dar. Der kleine Colin schwor, wenn ihm bloß sein Materialschuppen in La Roque zur Verfügung stünde, könnte er
auch die Zentralheizung nach dem gleichen Prinzip wieder in Gang bringen.
Peyssou war sehr froh, Meyssonnier in seinem Zimmer zu haben, doch brauchte es diplomatisches Geschick, um Colin zu überreden,
ganz allein in Birgittas Zimmer zu hausen. Wäre es nach ihm gegangen, wäre er, glaube ich, an Stelle von Thomas zu mir gezogen.
Ich stellte mich taub. Meine Gefährten beschuldigten mich ohnehin, Colin zu sehr zu verhätscheln und ihm »alles durchgehen
zu lassen«. Dennoch war ich nicht blind für seine Fehler. Ich war überzeugt, ich würde einen sehr schlechten Handel machen,
wenn ich Colin gegen einen so ruhigen, diskreten und zurückhaltenden Zimmergefährten wie Thomas eintauschte.
Zudem war Thomas ohnehin vereinsamt genug: durch seine Jugend, durch seine städtische Herkunft, durch seine Denkgewohnheiten,
durch seinen Charakter, durch seine Unkenntnis des Patois. Ich mußte der Menou und Peyssou nahelegen, sich |144| nicht rücksichtslos ihrer ersten Sprache zu bedienen – das Französische kam bei ihnen erst an zweiter Stelle –, denn wenn
sie bei Tisch ein Gespräch im Dialekt anfingen, stimmte allmählich alles mit ein, und Thomas fühlte sich nach einer Weile
fremd unter uns.
Man muß auch sagen, daß Thomas die Gefährten aus der Fassung brachte. Sein steifes Verhalten entsprach seiner Strenge. Seine
Umgangsformen waren frostig. Seine Sprache war kurz und pointiert. Er hatte nichts Verbindliches an sich. Vor allem lachte
er nie, da es ihm in einem unvorstellbaren Maße an Humor und sogar an Sinn für das Komische gebrach. Sein unerschütterlicher,
bei uns so seltener Ernst konnte für Hochmut gehalten werden.
Selbst seine augenfälligsten Qualitäten trugen Thomas keine Anerkennung ein. Ich bemerkte, daß die Menou (die doch für schöne
Mannsbilder, den Briefträger Boudenot zum Beispiel, eine Schwäche hatte) ihn kaum bewunderte. So schön Thomas war, er war
es nicht auf die Art, wie man es bei uns ist. Das griechische Standbild und das vollkommene Profil entsprechen nicht unseren
Schönheitsvorstellungen. Ein dicker Zinken und ein plumpes Kinn machen uns wenig aus, wenn Lebenskraft dahintersteckt. Wir
lieben die starken, vierschrötigen Burschen, heiter, zum Scherzen aufgelegt und ein wenig geckenhaft.
Überdies war Thomas ein »Neuer«. Er gehörte nicht zum Zirkel. Das schloß ihn von unseren Erinnerungen aus. Und da ich mich,
um sein isoliertes Dasein in Malevil auszugleichen, ziemlich viel mit ihm beschäftigte, war man auf ihn eifersüchtig, besonders
Colin, der ihn mit Sticheleien bedachte. Nun aber war Thomas völlig ungeeignet, in einem Pingpongspiel der Worte den Ball
zurückzugeben. Er dachte zu langsam und zu ernsthaft. Er ließ sich nicht herausfordern. Sein Schweigen wurde für Verachtung
gehalten, und Colin nahm es ihm, nachdem er gegen ihn gestichelt hatte, übel. Auch hier mußte ich einschreiten, Colin dämpfen
und das Räderwerk schmieren.
Das allabendliche Lesen der Bibel war weit weniger eintönig, als ich befürchtet hatte, denn es wurde von einem lebhaften
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