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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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einer neuen Zurücksetzung zum Opfer gefallen
     war, denn nach einer Weile sagte er aufgebracht: »Und warum halten sich dann die Juden für jüdischer als wir?«
    Alle lachen, nur Thomas nicht. Mit verkniffenem Mund und gekreuzten Armen sitzt er da, das Kinn auf der Brust, die Beine von
     sich gestreckt. Er scheint diese Gespräche wenig interessant zu finden und noch weniger die Lektüre, von der sie angeregt
     werden. Ich denke, er würde gleich nach der Mahlzeit schlafen gehen, empfände er nicht, wie wir alle, nach seinem Arbeitstag
     das Bedürfnis nach einem Hauch menschlicher Wärme.
    Daß wir während dieser Abendunterhaltung gelegentlich sogar lachen konnten, erschien mir anfangs erstaunlich. Doch erinnerte
     ich mich, was mir der Onkel von seinen Abenden beim Arbeitskommando in Deutschland erzählt hatte, als er in Kriegsgefangenschaft
     war. Du darfst nicht glauben, daß wir dort in Ostpreußen winselnd am Ofen hocken geblieben sind, Emmanuel, im Gegenteil. Wir
     haben die Schleuhs mit unserer Fröhlichkeit in Erstaunen gesetzt. Wir haben uns Geschichten erzählt, haben gesungen und gelacht.
     Im Grunde aber, verstehst du, Emmanuel, hatte das nichts zu bedeuten, es war Klosterfröhlichkeit. Dahinter war Leere, die
     auch die Kameraden nicht ersetzen konnten.
    Klosterfröhlichkeit, ja, das ist das richtige Wort. Ich werde mir dessen bewußt, während ich, den ersten Band der Bibel auf
     den Knien, den Erörterungen meiner Gefährten zuhöre. Und da meine linke Seite eiskalt geworden ist (was für eine Temperatur
     im Mai!), stehe ich auf und begebe mich mit meinem Hocker und meinem Buch vor den anderen Kaminsockel, wo ich aber nicht lange
     bleiben will, weil dort Momo sitzt: Das Feuer aktiviert seinen Körpergeruch, der mir lästig ist. Ich beschließe, die Menou
     morgen zu überreden, die Fron des Waschens auf sich zu nehmen.
    |148| Hinter meinen Gefährten (es fällt mir schwer, Thomas zu ihnen zu zählen, der so ganz anders ist) sehe ich ihre Schatten bis
     zu den dicken Deckenbalken tanzen. Ich kann den Saal nicht überblicken, er ist zu groß, doch links von mir gewahre ich beim
     Aufflackern des Feuers zwischen den beiden Fensterkreuzen die Wand aus unverputzten Steinquadern, die von Hieb- und Stichwaffen
     starrt. Hinter Peyssou die lange, von der Menou auf Hochglanz gebrachte Klostertafel, und zur Rechten die zwei bauchigen Kommoden
     aus der Grange Forte. Zu meinen Füßen die großen Steinfliesen, die die Gewölbe des Kellers bedecken.
    Eine strenge, schmucklose Ausstattung: Stein auf dem Fußboden, Stein an den Wänden, weder Vorhang noch Teppich, nichts Warmes,
     nichts, was an die Gegenwart einer Frau denken ließe. Eine Welt einsamer Männer ohne Nachkommenschaft, die auf den Tod warten.
     Abtei oder Kloster. Die Arbeit, die »Fröhlichkeit«, die frommen Lesungen, alles, was dazugehört.
    Ich weiß nicht, wie wir von den »Juden, die sich für jüdischer halten als wir«, auf das Problem gekommen sind, zu erfahren,
     ob es in La Roque Überlebende gibt. Wir sprechen jeden Abend darüber. Wir fassen den Plan, uns binnen kurzem dorthin zu begeben,
     aber so einfach ist das nicht. Die Straße von Malevil nach Malejac haben wir mühselig von den in den Flammen umgestürzten
     Bäumen geräumt, doch die fünfzehn Kilometer von Malejac nach La Roque führen über eine sehr holprige Landstraße quer durch
     Kastaniengehölz. Soviel wir gesehen haben, ist sie durch die Feuersbrunst völlig unwegsam geworden, und wir besitzen keinen
     Treibstoff mehr, um sie freizulegen. Schon in normalen Zeiten brauchte man zu Fuß gute drei Stunden nach La Roque. Wenn wir
     uns durch diese Trümmer vorarbeiten müßten, würden wir einen ganzen Tag brauchen und einen weiteren Tag, um nach Malevil zurückzukehren:
     achtundvierzig Stunden; diesen Zeitverlust können wir uns im Augenblick, solange die Aussaat nicht erledigt ist, nicht leisten.
    Das wenigstens ist die These, die ich vertrete. Mein dickes Buch auf den Knien, höre ich meinen Gefährten zu und sage kein
     Wort. Ich selbst habe die Hoffnung, in La Roque Leben zu finden, in ihnen erweckt, habe sie als erster ins Auge gefaßt. |149| Und weil jeden Abend davon geredet wird, hat diese Vermutung Gestalt gewonnen. Um so brüchiger aber ist sie bei mir geworden.
     Ich gebe jetzt keinerlei Anstoß mehr, die Expedition zu versuchen. Ganz im Gegenteil. Während Meyssonnier und Colin an ihrem
     Pflug basteln, bleibe ich mit den beiden anderen lieber in Malevil,

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