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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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vorbei. Eine unbedachte Bewegung und es wäre vorbei mit ihr. Mit der Kraft der Flügel war nicht zu spaßen, das wusste sie. Der alte Márquez war nie müde geworden, sie davor zu warnen.
    Vorsichtig schaute sie nach unten, doch es war nicht der schwindelerregende Abgrund, der ihr einen neuen Schauer über den Rücken schickte, sondern die Menschen auf dem Dach. Sieben oder mehr mochten es sein, schätzte das Mädchen.
    Auf den ersten Blick wirkten sie wie gewöhnliche Menschen. Doch als sie die Köpfe hoben, sah Catalina, dass ihre Augen von Finsternis umhüllt waren.
    Sie sind wegen mir dort unten, durchfuhr es sie. Ihnen ist das Gleiche passiert wie Márquez!
    Überall waren die Schattenaugenmenschen. Sie lauerten im Kräutergarten und gleich neben dem Eingang zur Windmühle. Fast nichts unterschied sie von normalen Passanten, doch es war, als ob ihnen das Lächeln und jeglicher Gesichtsausdruck gestohlen worden wäre.
    Nicht hinsehen! Konzentrier dich!
    Mit dem Oberkörper rutschte sie ein Stück aus dem Fenster heraus. Weit genug, um die Flickenflügel berühren zu können.
    Hinter sich hörte sie Schritte und sie spürte die Eiseskälte, die ihr aus dem Raum in den Rücken wehte.
    Catalina dachte plötzlich nicht mehr daran, ob sie überhaupt eine Chance hatte, das hier zu überleben. Sie dachte nicht an den Abgrund vor ihr. In schierer Panik streckte sie die Hände aus und bekam den ersten Flickenfetzenflügel zu fassen. Ihre Fingerspitzen fühlten den groben Stoff, die Teppichreste und Fetzen abgetragener Kleidung, die den Windmühlenflügel wie einen Mantel bedeckten.
    Gleichzeitig packte sie etwas am Fußgelenk, das sich wie kaltes Leder anfühlte. Sie musste daran denken, dass der Harlekin Handschuhe getragen hatte.
    Verzweifelt krallte sie sich mit beiden Händen an den Flickenfetzenflügel und hielt sich mit aller Kraft an dem groben Stoff fest. Hoffentlich rissen die Nähte nicht.
    Das Windrad drehte sich weiter.
    Weiter.
    Und weiter.
    Voller Schwung.
    Catalina wurde aus dem Fenster herausgezogen und spürte, wie die eiskalte Hand von ihrem Knöchel abrutschte.
    Dann befand sie sich auf einmal mitten in der Luft.
    Tief atmete sie ein. Das flaue Gefühl in ihrer Magengegend machte sie schwindlig, so schnell raste der Flickenfetzenflügel abwärts. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie all die Schattenaugenmenschen dastanden und sie beobachteten. Sie schienen nur darauf zu warten, dass sie das Windrad losließ und auf dem Dach landete.
    Sie würden sie packen und festhalten, so lange, bis der Harlekin sie in Empfang nehmen würde.
    Nein, sie durfte dort unten nicht abspringen!
    Niemals!
    Doch einen anderen Fluchtweg gab es nicht.
    Der Flickenfetzenflügel passierte die Talsohle und mit Schwung wurde Catalina wieder in die Höhe gerissen.
    Ihr Magen machte Purzelbäume, in ihrem Kopf drehte sich alles. Mit Händen und Beinen klammerte sie sich an dem Flügel fest. Den Staub und die Sonne auf den Flickenfetzen konnte sie förmlich riechen, so nah war ihr Gesicht dem Stoff.
    Denk nach!, schrie es in ihr, denk nach!
    Die Harlekin-Maske füllte den Fensterrahmen aus und beobachtete sie aus leeren Augenschlitzen. Etwas tropfte aus diesen Schlitzen heraus, besprenkelte die weiß getünchte Wand. Wie kleine bösartige Käfer krochen die Finsterpunkte die Wand hinab auf die Nabe des Windrades zu.
    Catalina wurde abermals hoch hinaufgetragen. Die Silhouette der singenden Stadt tauchte vor ihr auf – ein atemberaubender Ausblick auf Barcelona, das sich vor ihr ausbreitete, erleuchtet von Abertausenden von Lichtern. Es war eine Welt voller Geheimnisse, ein Ort, an dem sich Catalina vielleicht sogar würde verstecken können, immer vorausgesetzt, ihr gelänge die Flucht.
    Sie erreichte den oberen Scheitelpunkt. Es ging wieder abwärts, rasend schnell.
    Catalina schrie erneut auf. Doch dieses Mal war es ein Name, den ihre Lippen formten: »El Cuento!« Es war nur ein Pfeifen, das ihren Mund verließ, doch für Catalina und den Wind war es ein Hilferuf.
    Denn sie wusste nicht mehr ein noch aus.
    Nicht dass sie die geringste Ahnung gehabt hätte, wie der Wind ihr zu helfen vermochte. Aber er war der Einzige, der ihr einfiel. Schmerzhaft wurde ihr mit einem Mal bewusst, dass es überhaupt niemanden in ihrem Leben gab, der ihr helfen würde. Der Kartenmacher war immer derjenige gewesen, der ihr zur Seite gestanden hatte. Ihre Mutter, natürlich, doch die war fort.
    Blieb der wispernde Wind.
    Und während Catalina auf dem

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