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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Nähte zu lösen.
    »Meinst du, das ist eine gute Idee?« Jordi war plötzlich skeptisch. Wenn die Nähte allesamt aufgingen, dann würden sie bald in einer Wolke aus Flicken und Fetzen nach unten fallen.
    »Wir sollen nur wenige Nähte lösen.«
    Jordi pfiff nervös durch die Zähne. Mit der gesunden Hand fummelte er an den Fäden herum.
    Die Fledermausschatten rauschten hinter ihnen durch die Luft. Catalina kam es vor, als hätten sie wieder ein gutes Stück aufgeschlossen.
    »Hoppla!«, rief El Cuento.
    Catalina schaute nach vorne. Sie gewannen sprunghaft an Höhe und hüpften förmlich über die Manzana de la Discordia, einen breiten Häuserblock, dessen krumme Schornsteine wie abgebrochene Zähne aus den Dächern wuchsen.
    El Cuento flog einen wilden Slalom zwischen ihnen hindurch und tauchte auf der anderen Seite in die nächste Straße hinab. Inzwischen war er zum Sturm geworden und Catalina und Jordi sahen, dass er Blumentöpfe von den Fensterbänken wehte und sich die Zweige der Palmen bogen.
    »Seit wann kannst du das?«
    »Was meinst du?«
    »Du redest mit dem Wind.«
    »Oh, den Meereswind verstehe ich schon lange. Die anderen aber nicht.«
    »Versteht der Wind, was die Menschen sagen?«
    »Ja, das tut er.« Sie dachte an all die Geschichten, die sich El Cuento von den Menschen geborgt hatte, um sie ihr erzählen zu können, hoch oben am Castell de Montjuic. Dann wurde ihr schmerzlich bewusst, dass sie sich vielleicht niemals wieder dort mit ihm treffen würde. Dass es zu gefährlich sein würde, dorthin zu gehen, wo sie sonst immer hingegangen war. Die Kreaturen hinter ihnen kreischten lauter als zuvor, fast triumphierend. Ihre Schwingen schlugen flatternd.
    Dann sah sie es.
    Es war ein Schwarm grellbunter Fliegenfische, der vor ihnen im Licht einer Laterne schwebte. Der Flickenfetzen flog ohne Mühe über sie hinweg, aber eine der Fledermauskreaturen raste mitten in die kleinen Tiere hinein. Es sah so aus, als würde die Fledermaus in Hunderte kleiner Tintentropfen zerspringen, die sich wie Raubtiere auf die Fliegenfische stürzten. Alle Tiere des Schwarms wurden mit Schatten überzogen und dann verbanden sie sich erneut zu einem einzigen Wesen. Sie flossen in Sekundenbruchteilen zusammen und ein ganz neues Schattenwesen entstand, viel größer als das vorherige.
    »Gar nicht gut«, murmelte Jordi.
    »Mist!«, fluchte Catalina.
    Hastig nestelte sie weiter an den Nähten.
    Der riesige Fledermausschatten, der neu geboren worden war, flog schneller als sein kleiner Kumpan.
    »Da vorne ist es!«, rief El Cuento.
    Catalina atmete durch.
    Placa Fuego hieß der Ort, auf den der Wind zusteuerte. Feuer brannten dort, lichterloh. Zwischen den Feuern fand ein Markt statt. Nein, nicht irgendein Markt, sondern der größte Markt der Stadt. Tiere in Käfigen beäugten neugierig die Kundschaft, Händler boten Waren aus fernen Ländern feil. Der Duft nach Gewürzen und exotischen Früchten drang bis hoch hinauf in die Lüfte. Tausende von Menschen gingen dort unten ihren Geschäften nach und keiner von ihnen sah in den Nachthimmel hinauf.
    »Sie kommen!«, kündigte El Cuento sie an.
    Und schon waren sie da.
    Wildwinde! Eine ganze Horde musste es sein. Sie stürzten sich auf die Fledermausschatten und brachten sie ein wenig von der Flugroute ab. Doch das war nicht der eigentliche Plan.
    »Jetzt oder nie«, flüsterte Jordi und es klang wie ein stilles Gebet. Dann löste er die letzten Nähte und der hintere Teil des Flickenfetzens flatterte in kleinen Stücken davon. Hundert Flicken und Fetzen wirbelten durch die Luft, wurden aufgefangen von den Wildwinden, die mit ihnen hinab zum Placa Fuego flogen.
    »Sie tun es tatsächlich«, murmelte Catalina.
    Ein Schrei erklang, dicht hinter ihnen. Der riesengroße Fledermausschatten hatte aufgeholt. Mit nur einem einzigen kräftigen Flügelschlag brachte er El Cuento aus dem Gleichgewicht. Der Flickenfetzen taumelte bedrohlich zur Seite.
    »Haltet euch fest!«
    El Cuento ging sofort in den Sturzflug über und schoss hinab zu den Feuern. Catalina und Jordi spürten die Hitze, als sie durch die erste Rauchwolke rasten.
    »Schau!«
    Fasziniert folgte Jordi dem Schauspiel, das sich ihnen beiden darbot.
    Die Flicken und Fetzen flogen todesmutig mitten in die großen Feuer hinein und dann stoben sie mit der glimmenden Glut in den Nachthimmel auf, als seien sie ein Haufen wild gewordener kleiner Sterne. Die Winde, die ihre Freunde waren, trugen sie weiter und weiter hinauf. Zu einer

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