Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
sich die Tür und Reverte kam zurück. Er trug ein Tablett mit einigen Tiegeln und Verbandszeug. »Zeig mal deine Hand, Junge«, sagte er und machte sich daran, Jordis Wunden zu verbinden. Behutsam strich er eine helle Salbe auf das verbrannte Fleisch, bevor er die Leinenbinden mit großer Sorgfalt um Handgelenk und Finger wickelte.
»Bleibt doch beide noch ein paar Tage hier«, schlug er vor, als er fertig war. »Bücher können sehr heilsam sein.« Er drehte die Hand des Jungen, um zu sehen, ob die Binden auch wirklich fest waren. »Die Salbe und der Verband lindern die Schmerzen. Bücher können das auch, wenn man ihnen vertraut.«
»Nicht die Salbe und der Verband lindern die Schmerzen.« Catalina berührte die Hand des Jungen. »Die reine Luft und die Zeit werden dafür sorgen, dass es bald nicht mehr wehtut.«
»Trotzdem. Ohne Verband…« Reverte schaute sie an und sagte nach einer Pause: »Denkt einfach darüber nach. Das Haus der Nadeln ist freundlich zu seinen Gästen.«
Das Mädchen nickte nur. Dann schaute sie Jordi in die Augen und sagte einfach nur Danke.
Nichts sonst und doch so viel.
Die Küche mit den gelben Kacheln war auf einmal die ganze Welt geworden. Hier gab es keine bösen Schatten. Nur warmes Licht, das draußen in einer Straßenlaterne geboren wurde, durch ein blaues Fenster eindrang und unscharfe Muster auf den Boden malte. Es roch nach gebratenen Kartoffeln und frischem Brot, Gewürztee und getrockneten Kräutern.
Es war ein Moment, in dem es Catalina und Jordi vergönnt war, tief Luft zu holen.
»Machst du das öfter?«
Catalina wusste im ersten Moment gar nicht, was er meinte.
»Zeichnen«, gab Jordi ihr zur Antwort.
Dann sah sie es und erschrak. »Das… ich…«
Auf dem Küchentisch hatte ein Bleistift gelegen und ganz gedankenlos hatte sie einfach damit zu zeichnen begonnen. Jordi hatte sie die ganze Zeit über dabei beobachtet, aber nichts gesagt. Ihre Hand war über den Tisch getanzt und hatte Striche gemalt und die Flächen schraffiert, bis ein Bild entstanden war, das fast aussah wie die Wirklichkeit.
»Das tut mir leid«, entschuldigte sie sich bei Reverte. »Ich…«
»Du hast die Tischplatte bekritzelt, das ist alles.« Plötzlich musste Jordi lachen. Es war ihr unglaublich peinlich, das sah man ihr an.
»Das ist unser Haus«, stellte Reverte fest. »Die Casa de les Punxes, du hast sie gezeichnet.«
»Ich wollte das nicht tun, ehrlich«, sagte Catalina hastig. Und schnell fügte sie hinzu: »Das kann man doch abwischen, oder?«
Reverte betrachtete die Zeichnung. »Du hast Talent«, stellte er fest. »Selbst die gewundene Straße vor dem Haus und der enge Kanal sehen echt aus. Nein, Mädchen, wir sollten diese Zeichnung so belassen, wie sie ist. Im Gegenteil, du kannst sie sogar morgen fertig zeichnen. Dann haben wir immer eine Erinnerung an dich. Der Küchentisch wird dann ein Teil deiner Geschichte sein, und wenn wir hier sitzen, werden wir uns jedes Mal fragen, was aus euch beiden geworden ist. Das, mein Kind, ist Unsterblichkeit.« Dann deutete er auf einen Teil des schmalen Weges, der neben dem Kanal entlangführte. »Siehst du, da musst du noch einige Striche ausführen.«
Sie nickte nur und betrachtete die Zeichnung erneut.
»Es sieht wirklich echt aus«, bemerkte Jordi.
Sie hatte das Haus der Nadeln aus der Perspektive gezeichnet, aus der sie es zum ersten Mal erblickt hatte, einfach so. Den gewundenen Weg waren sie entlanggegangen und dann war das Haus vor ihnen aufgetaucht.
»Beim alten Márquez habe ich niemals aus dem Kopf heraus zeichnen dürfen. Du verdirbst dir dann den Zeichenstil, hat er immer betont.« Catalina schien noch immer verwirrt.
»Du hast es einfach getan«, stellte Jordi fest. Ihre Hand hatte den Bleistift geführt und sie hatte nicht so ausgesehen, als würde sie sich über das, was sie tat, Gedanken machen.
»Warum hast du nichts gesagt?«
Er sah sie nur an. Weshalb hätte ich das tun sollen?«
Jordi betrachtete abermals die Zeichnung auf dem Tisch. Die Casa de les Punxes war so wirklichkeitsgetreu wiedergegeben, mit all ihren spitzen Türmchen und den Buntglasfenstern – sogar die Papierklingel konnte man erkennen.
»Vielleicht sollte ich wirklich schlafen«, meinte Catalina nur. »Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, dass ich das alles getan habe.« Nervös knabberte sie an ihrer Unterlippe und starrte die Tischplatte an.
»Ich muss Makris de los Santos finden«, murmelte sie und rieb sich die Augen. »Ich
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