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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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Windmühle Abschied genommen hatte, nie wiedergesehen hatte, von einer Karte, die lebendig wurde, von dem Harlekin und den Schattenaugenmenschen und dem alten Márquez.
    »Deine Mutter hat vorhergesagt, was passieren würde.« Jordi stützte sein Kinn nachdenklich auf die gesunde Hand.
    »Sie ist eine Hexe.«
    Catalinas Stimme hatte einen harten Klang angenommen.
    »Was hast du da gesagt?«, fragte Jordi. Plötzlich war ihm, als ob ihm die Kehle zugeschnürt würde. Catalinas Fragen an Firnis kamen ihm wieder in den Sinn – und das, worauf die Meduza seit alten Zeiten Jagd machte. Also war es wirklich wahr.
    Catalina funkelte ihn an. »Ja, sie ist eine Hexe. Und frag mich bloß nicht, was das bedeutet – mehr weiß ich auch nicht«, fauchte sie. »Ich weiß nur, dass sie mich ohne ein Wort der Erklärung einfach zurückgelassen hat. Ich weiß, dass sie vielleicht gerade in diesem Moment in Gefahr ist, wenn nicht schon in der Gewalt der Schatten. Und ich weiß, dass es meine Schuld ist, dass Márquez jetzt…« Sie holte tief Luft. »… das ist, was er ist.«
    Jordi hob seine unverletzte Hand und strich ihr hilflos über den Arm.
    Catalina blickte zu Boden. »Es ist so ungerecht«, flüsterte sie. »Márquez war für mich so etwas wie… wie ein Großvater. Es waren Kleinigkeiten, weißt du. Ich kann furchtbar unordentlich sein, aber irgendwie habe ich immer wiedergefunden, was ich brauchte. Erst ganz spät ist mir klar geworden, dass er einfach hinter mir hergeräumt hat. Still und heimlich und nie hat er etwas gesagt.«
    Sie sah auf. »Du hättest ihn sehen sollen«, sagte sie verzweifelt. »Es war, als hätte ein Dämon Besitz von ihm ergriffen.«
    Jordi, der ganz genau wusste, wozu ein Dämon in der Lage war, starrte nur seine Hand an.
    »Das kenne ich auch. Wie Dämonen einen Mensch verändern können, meine ich. Ich habe es bei meinem Vater gesehen«, erwiderte er leise. »Er hat mir nie gesagt, warum er trinkt. Er hat es einfach getan.«
    In wenigen Worten nur erzählte er ihr von seiner Zeit im Leuchtturm. Von den wirklich schönen Dingen und den bösen Dingen – und den Träumen, die aus den schönen Dingen geboren worden waren. »Ich werde nicht mehr zurückgehen. Ich kann es nicht.« Es tat weh. Auch die Hand.
    »Vermisst du ihn?«
    Er senkte den Blick. »Wir haben nie geredet, nie richtig. Nicht über die Dinge, über die wir hätten reden sollen.«
    Die beiden schwiegen.
    »Mein Vater ist tot.« So wie sie es sagte, hörte es sich fast unspektakulär an. »Ertrunken, einfach so.«
    »Das tut mir leid.«
    »Mir auch.« Für einen Moment schien sie nicht zu wissen, was sie sagen sollte. »Ich vermisse ihn. Und meine Mutter genauso.« Ruhig saß sie da und plötzlich begann sie abermals zu sprechen, und Jordi war es, als könnte sie es selbst nicht fassen, was da aus ihr herausbrach.
    Sie erzählte von einem Fischer namens Antonio, der vor zwei Jahren zusammen mit ihr und ihrem Vater an einem sonnigen Tag aufs Meer hinausgefahren war. Draußen vor der Küste, wo das Wasser kälter und dunkler wurde, war ihr Vater in die Tiefe hinabgestiegen. Geflochtene Reusen und Käfige hatte er dort unten ausgelegt, während Antonio und Catalina selbst an der Luftpumpe kurbeln mussten. Über einen langen Schlauch wurde die Luft dann bis in die Tiefe gepumpt, wo sie in dem hölzernen Helm, der mit Teer abgedichtet worden war, eine Blase bildete, die es ihrem Vater zu atmen und am Meeresboden entlangzuwandern erlaubte.
    »Ich habe die Leute im Hafen von Talamanga davon reden hören. Davon, dass sich das Seil oder der Luftschlauch in Felsspalten verklemmen und reißen kann. Dass das Gewicht des Tauchhelms und das der schweren Schuhe den Taucher in der dunklen Tiefe hält und ihn niemals mehr freigibt«, sagte sie. »Aber als mein Vater nicht mehr auftauchte…«, sie stockte. »Da wusste ich, dass ich genau in einer dieser Geschichten war. Sie endeten meist damit, dass der Fischer eine Frau und ein Kind hinterließ.«
    Sie verstummte.
    Jordi saß neben ihr und dachte an seinen eigenen Vater, den er auch verloren hatte, irgendwie.
    Lange dauerte es, bis sie ihr Schweigen brach. Doch dann blickte Catalina hoch. Ihr Mund war zu einem feinen Lächeln verzogen. »Ich hätte das nicht gedacht«, sagte sie. Wieder musste Jordi beim Klang ihrer Stimme an das Geräusch der Eidechsenplättchen denken, die gegeneinanderstießen. »Aber es macht es einfacher. Es macht es leichter, wenn man darüber spricht.«
    Plötzlich öffnete

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