Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
braunen Augen blitzen dabei. Plötzlich schien alle Müdigkeit von ihm abzufallen. »Du liest etwas in einem Buch und die Sätze sind am Ende nur dürftige Hinweise, die dir den Weg zu einem ganz anderen Buch weisen. Dann läufst du von einem Regal zum nächsten und suchst danach – und wenn du es endlich gefunden hast, dann erhältst du neue Hinweise auf wieder neue Fährten und wieder andere Bücher.«
»Das hört sich an, als hättest du dich verlaufen.«
»Ja, irgendwie schon.« Er sah sie aufmerksam an. »Man kann sich dort wirklich verlaufen, in den Gedanken zwischen all den Buchdeckeln.«
»Die Bibliothek«, hörte Catalina Firnis sagen, »ist ein Labyrinth, aus dem es manchmal kein Entrinnen mehr gibt.« Er ging gerade mit einem Staubwedel die Regalreihen ab. Leise raschelte es in den Regalen. »Der junge Jordi hier war wild entschlossen, etwas in Erfahrung zu bringen.« Firnis hustete und blies den Staub vor sich her. »Vielleicht ist er mehr Büchermensch als Lichterjunge, wer weiß?«
»Und?«
Jordi sah sie nur an. »Was, und?«
»Was hast du herausgefunden?«
Er nahm sie bei der Hand und zog sie zu dem runden Tisch, der in einer Ecke am Fenster stand. Ein Buch mit fleckigen Seiten aus dickem Papier lag dort wie das Relikt aus einem Märchen.
»In einem Buch über die Geschichte des alten Katalonien«, erklärte er, »wird eine Stadt erwähnt, von der ich noch nie gehört habe.«
Catalina starrte ihn an. Und das sollte nun so ungewöhnlich sein?
Firnis gesellte sich zu ihnen. »Geduld, Mädchen«, sagte er und lächelte. »Warte ab, was er zu berichten hat.«
Jordi schlug das schwere Buch auf, das vor ihnen auf dem Tisch lag, an einer Stelle, die er mit einem abgerissenen Zettel markiert hatte. Dort befand sich eine Fotografie. Schwarz-weiß war sie und die Ränder vergilbten bereits. Sie zeigte eine Stadt. Sie war riesengroß, dunkel und… unscharf. Ja, das war es, was Catalina sofort einfiel, als sie die Fotografie betrachtete. Sie war unscharf wie etwas, das es gar nicht gab. Wie das Gespenst einer großen Stadt.
»Das ist die Stadt, die ich meine.«
»Sie sieht düster aus.«
Firnis wirkte nachdenklich. Sein Blick war auf die Fotografie gerichtet.
»Wie ist ihr Name?«
»Madrid«, antwortete Jordi.
Catalina zuckte ratlos die Achseln. »Nie davon gehört.«
»Es gibt keine Stadt, die so heißt.« Firnis starrte auf das Bild. »Wir haben schon die halbe Nacht über dieses Problem geredet und sind zu keinem richtigen Ergebnis gekommen.«
Catalina fand den Gedanken, dass es eine Stadt geben sollte, die nur ein Gespenst war, nicht gerade beruhigend. Außerdem begann sie sich zu fragen, was das alles mit Barcelona zu tun hatte. Und mit der Tatsache, dass sie weiß Gott andere Probleme hatten. »Wo soll die Stadt denn sein?« Sie fand selbst, dass sie sich gereizt anhörte.
»Warte!« Jordi schaute sie mit einem merkwürdigen Seitenblick an. Dann blätterte er eine Seite weiter und zeigte es ihr.
»Aber das ist nicht möglich.« Sie sah eine exakt gezeichnete Landkarte vor sich, die voller Fehler war. Nun ja, es mussten Fehler sein, denn sie kannte die Geografie von Katalonien gut. In der Windmühle hatten sie haufenweise alte Karten gehortet und Catalina hatte jeden einzelnen Landstrich studiert. Aber auf dieser Karte hier gab es Orte, von denen sie noch nie gehört hatte.
»Das ist nicht der Golf von Salamanca.« Die eingezeichnete Küstelinie auf der seltsamen Karte verlief zu weit nördlich. Die Landmasse dehnte sich über die bekannten Grenzen, und wo eigentlich in Wirklichkeit das Meer war, sollte sich angeblich eine große Stadt namens Madrid befinden.
»Unmöglich.« Ja, es konnte nur ein Fehler des Kartenmachers sein. Catalina fuhr mit dem Finger die Küste nach, die in einer völlig falschen Linie bis hinunter nach Lisboa reichte. Alle großen Hafenstädte waren dafür mitten in die Landmasse hineingezeichnet. Sie las die Namen, die jedes Kind kannte: Biarritz, Toledo, Córdoba und Salamanca.
»Was ist das für ein seltsames Buch?«
»Es hat keinen Titel«, sagte Jordi.
Firnis merkte an: »Der Name des Autors ist unkenntlich gemacht worden.«
Catalina sah von einem zum anderen. »Aber wo kommt es her?«
Beide, Jordi und Firnis, zeigten zu einer nunmehr leeren Stelle in einem der Regale hinter ihnen.
Catalina zog ein Gesicht. »Schon klar, aber wie kommt es dorthin?«
Firnis wirkte ratlos. »Wir haben viele Werke hier, die noch niemand gelesen hat. Andauernd kommen
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