Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
Sarita schloss die Augen, nur kurz. Dann sah sie ihre Tochter an. »Diese Erinnerungen durfte ich dir nicht lassen, Kleines.«
Catalina wusste nicht, was sie sagen sollte.
Ramon der Rabenkater hockte jetzt auf allen vieren. Seine Augen funkelten im Dämmerlicht rot glühend.
»Er ist ihr Diener. Und er ist ein Lügner.«
»Er hat gesagt, dass Nuria Niebla tot ist.«
Catalina erkannte Tränen in den Augen ihrer Mutter. »Nuria Niebla wollte eine Welt erschaffen, die nur den Schatten allein gehört. Denn in der Welt des Lichts werden die Schatten immerfort Sklaven sein. Es ist die einzige Möglichkeit für sie, das Licht zu besiegen.«
»Aber Ramon sagte, dass ich diese Welt erschaffen soll.«
»Nur eine Kartenmacherin ist dazu in der Lage. Aber eine allein vermag nicht, die nötigen Kräfte aufzubringen.«
»Dann sollten wir beide es tun? War es das, was Großmutter im Sinn hatte?«
Sarita nickte. »Was hat Ramon dir noch erzählt?«
Catalina sagte es ihr. Alles.
Das fauchende Krächzen riss sie in die Gegenwart zurück. Die Verwandlung war zu einem Ende gekommen. Ramon war jetzt ein Rabenkater. Ein raubvogelartiges Ding mit den scharfen Krallen und dem Verstand einer Katze. Verschlagen wirkte er. Langsam, lauernd, kam er auf die beiden Frauen zu.
»Er wird dir nichts tun«, versprach Sarita ihrer Tochter und stellte sich schützend vor sie.
Der Rabenkater setzte zum Sprung an. Im gleichen Moment schob sich ein riesiger Schatten durch die Kathedrale.
Sie schauten zu den Oberlichtern hinauf.
»Die Meduza«, entfuhr es Catalina.
Die fliegende Galeone war zwischen den Spitztürmen angekommen. Eines der Oberlichter zersplitterte und Abertausende von Scherben regneten in die Kathedrale.
Finsterfalter stürzten sich aus den Höhen auf den Rabenkater, der wie wild mit den Klauen um sich schlug.
»Hör mir zu.« Eindringlich schaute Sarita ihre Tochter an und Catalina fiel auf, wie sehr sie ihrer Mutter doch ähnelte. »Hör mir ganz genau zu. Sollte mir etwas zustoßen, dann bist du die Einzige von uns, die noch etwas tun kann.« Sie zog Catalina in einen Beichtstuhl hinein, schloss die Tür hinter sich, ganz schnell. »Nur eine Hexe, die Kartenmacherin ist, kann die Welt so verändern, dass sie den Ansprüchen der Schatten genügen wird. Aber welche Kartenmacherin würde so etwas tun? Niemand, der reinen Herzens ist, würde seine eigene Welt zerstören. Nur eine Kartenmacherin, die selbst zu einem Schatten geworden ist, würde sich eine Welt erschaffen, in der auch sie zu leben vermag.«
Catalina nickte. Das leuchtete ihr ein.
»Du weißt, dass man die Fähigkeit nur einsetzen kann, indem man einen Preis zahlt.«
Sie dachte an Jordi und abermals geriet ihr der Herzschlag vor Kummer ins Stocken. »Ja.«
»Jedes Licht wirft einen Schatten, mein Kind. Jede gute Tat bewirkt auch etwas Schlimmes.« Sarita seufzte. »Das alles ist Nuria Nieblas Plan gewesen. Sie wollte, dass du die Schatten in dein Herz lässt. Ich musste dich davor schützen.«
»Aber wie sollte das geschehen?« Nie und nimmer hätte sie das freiwillig getan.
»Du bist noch jung. Die Schatten sind so schnell in unseren Herzen. Du tust einem Menschen, den du kennst, etwas Schlimmes an, und wenn das geschieht, dann stirbt ein Teil des Lichtes, das in dir wohnt, auf immer. Und je öfter du deine Fähigkeit anwendest und die Welt durch die Kartenkunst veränderst, umso größer werden die Schatten in deinem Herzen. Es wird kalt in dir drin und irgendwann sehnst du dich nach der Schattenwelt. Dann ist der Moment gekommen, wo du aus freien Stücken mit den Schatten zusammenarbeiten wirst.«
»Das wollte Nuria erreichen?«
»Sie hatte schon lange ihr Herz an die Schatten verloren.«
»Aber die Schatten haben doch Jagd auf sie gemacht. Als sich die Insel veränderte, sind sie auf ihre Spur gestoßen.« Catalina versuchte, sich an die Worte Ramons zu erinnern.
Sarita schüttelte den Kopf. »Es ist Nuria Niebla selbst gewesen, die das fliegende Schiff nach Eivissa gelockt hat. Sie wollte sich mit dem Arxiduc verbünden.«
Catalina biss sich auf die Unterlippe, bis es schmerzte. Ramon hatte ihr all die Lügen eingeflüstert und sie hatte ihm allzu leichtgläubig vertraut.
Von draußen drangen Schreie an ihr Ohr. Menschlich und doch mehr Kater und Rabe. Panisch. Und verzweifelt.
»Ramon sagte, sie sei tot. Verbrannt.« Catalina runzelte die Stirn. Hatte der Rabe sie auch in dem Punkt angelogen? Aber weshalb?
»Der Arxiduc ist ein grausamer
Weitere Kostenlose Bücher