Malice - Du entkommst ihm nicht
sie an der Haustür und bestand darauf, sich haarklein alles erzählen und alle Einkäufe vorführen zu lassen. Kady konnte kaum still sitzen, während ihre Mutter jedes einzelne Stück mit einem Schrei des Entzückens kommentierte. Sobald sie sich loseisen konnten, ohne allzu unhöflich zu wirken, flüchteten sie nach oben in Kadys Zimmer und schlossen die Tür hinter sich ab.
»Okay, und jetzt zeig mir endlich den Comic!«, forderte Kady Seth ungeduldig auf.
Seth griff in die Innentasche seiner Jacke und zog das Heft heraus. Es steckte wie das andere in einem mattschwarzen Umschlag, auf dessen Vorderseite ein großes, blutrotes M prangte. Kady nahm ihm den Umschlag aus der Hand. Sie hatte plötzlich wieder denselben merkwürdigen Ausdruck im Gesicht wie damals in Lukes Zimmer, als er ihr das erste Heft gezeigt hatte.
»Ich hab ihn in einem Karton im Hinterzimmer gefunden«, erzählte Seth. »Da waren noch viel mehr davon. Echt ein Glück, dass ich es geschafft hab abzuhauen, bevor der Typ mich erwischt hat.«
»Dann hoffen wir mal, dass die Seiten nicht wieder alle leer sind.« Kady riss den Umschlag ungeduldig auf und zog den Comic heraus.
Diesmal waren sie nicht leer. Das erkannte Seth auf den ersten Blick. Das Cover zeigte das halb im Schatten liegende Gesicht eines Jungen. Er hatte den Mund weit aufgerissen und schrie. Quer über der Seite stand: MALICE. Die Buchstaben sahen aus, als wären sie mit einer blutigen Kralle ins Papier gekratzt.
Kady schlug den Comic auf.
Seth sah, dass sie kalkweiß wurde. »Was ist los?«
»Oh nein!« Sie beugte sich tiefer über das Heft und blätterte hastig weiter. »Oh nein. Bitte nicht«, wimmerte sie.
»Was denn?«, fragte Seth, der es langsam mit der Angst zu tun bekam.
Sie sah auf. In ihrem Gesicht spiegelten sich Verwirrung und Entsetzen. »Der Junge im Comi c … es ist Luke .«
Überraschung im Schrank
1
Kady erwachte von ihren eigenen lauten Schreien.
Sie schlug so wild mit Armen und Beinen um sich, dass sie beinahe aus dem Bett gefallen wäre, bis sie begriff, dass niemand hinter ihr her war. Mit hämmerndem Herzen setzte sie sich in der Dunkelheit auf und drückte ihre Decke an sich. Sie war in ihrem Zimme r – in Sicherheit. Die Bilder des Albtraums, den sie gerade durchlebt hatte, brannten immer noch auf ihrer Netzhaut. Eine gebückte Gestalt in einer Kutte, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, aus dem statt Augen eisblau leuchtende Linsen starrten, war ihr mit einem lodernden Flammenwerfer in der Hand hinterhergerannt, während sie durch die schmalen Gänge eines fremdartigen Tempels geflohen war. Sie hatte immer noch den Gestank ihrer versengten Haare in der Nase.
Plötzlich flog die Tür auf und Kady stieß wieder einen Schrei aus.
»Ich bin es doch nur, Schatz.« Alana schaltete das Licht ein. Sie eilte auf ihre Tochter zu, kniete sich neben das Bett und strich ihr besorgt die schweißnassen blonden Haare aus der Stirn. »Mein Gott, du glühst ja! Was ist passiert?«
Kady lehnte schwer atmend ans Kopfteil des Bettes und wartete darauf, dass sich ihr Herzschlag wieder beruhigte, nachdem sie sich zum zweiten Mal zu Tode erschreckt hatte. Durch ihre Adern pulsierte reinstes Adrenalin.
»Meine arme Kleine. Hattest du einen Albtraum?«
»Ja. Es war nur ein Albtraum.«
Alana umarmte sie fest. »Alles ist gut, Schatz. Du brauchst keine Angst zu haben.«
»Schon okay, Mom«, seufzte Kady. »Es ist nur die Sache mit Luke. Das macht mir ganz schön zu schaffen. Ich muss die ganze Zeit daran denken.«
»Aber natürlich«, sagte ihre Mutter sanft und setzte sich zu ihr auf die Bettkante. »So etwas steckt man nicht einfach so weg. Wir machen uns auch große Sorgen. Hoffentlich kommt er bald wieder zurück.«
Über Kadys Gesicht huschte ein Schatten, den Alana sofort bemerkte.
»Was hast du, Liebes?«
»Mom? Ist zwischen dir und Greg alles okay?«
»Wie kommst du darauf?« Alana sah überrascht aus.
»Ich weiß auch nicht. Ihr seid s o …« Kady verstummte und nagte an ihrer Unterlippe. Ihre Mutter sah sie abwartend an. Kady zögerte. Sie überlegte, ob sie die Antwort auf ihre Frage überhaupt hören wollte, beschloss dann aber, sie trotzdem zu stellen. Sie hatte mit ihrer Mutter immer über alles reden können. »Seit Luke verschwunden ist, benehmt ihr euch irgendwie so merkwürdig. So als würdet ihr mir irgendwas sagen wollen, wüsstet aber nicht wie. Macht ihr vielleicht gerade so eine Art Ehekrise durch?«
Ihre Mutter
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