Malice - Du entkommst ihm nicht
Sachen.
Zerstreut blätterte sie in der Zeitung und suchte nach einem Hinweis. Wenn sie jetzt nicht dahinterkam, würde die Frage sie die ganze Nacht beschäftigen und sie würde gar nicht mehr zum Schlafen kommen.
Sie wurde ziemlich schnell fündig. Auf Seite sechs war ein Artikel, den sie mit rotem Marker umkringelt hatte. Nachdem sie ihn rasch überflogen hatte, wurde ihr allerdings klar, dass er nur neue Fragen aufwarf, auf die sie keine Antwort wusste. Stirnrunzelnd kehrte sie an den Anfang zurück und las ihn noch einmal gründlicher.
Sie drehte sich um und sah Marlowe an. Marlowe erwiderte ihren Blick träge.
»Weißt du, was das zu bedeuten hat, Kater?«, fragte sie ihn.
Aber falls er etwas wusste, zog er es vor, nicht zu antworten.
2
Henry Galesworth
1
Sie fanden schnell heraus, wo Henry Galesworth wohnte. Es gab nur eine Familie mit diesem Nachnamen in Kettering. Kady suchte die Adresse im Online-Telefonbuch, organisierte mithilfe eines Routenplaners die Fahrt dorthin, und am nächsten Morgen saßen sie und Seth schon im Zug. Kettering lag nur eine Dreiviertelstunde von Loughborough entfernt. Diesmal bezahlte Kady die beiden Tickets aus eigener Tasche.
Die Galesworths wohnten in einer Doppelhaushälfte, wie es sie in vielen Vorortsiedlungen ga b – ein schmuckloser, rot geklinkerter Klotz, der an einer ziemlich befahrenen Straße stand. Gegenüber befand sich ein kleiner Park, der allerdings nicht viel mehr war als eine von sinnlosen asphaltierten Wegen durchzogene Grünfläche mit ein paar Bänken. Es gab weder einen Spielplatz noch Bäume, Sträucher oder Beete. Das Ganze sah aus, als hätte jemand irgendwann vorgehabt, einen Park anzulegen, den Plan aber mittendrin verworfen.
Seth und Kady setzten sich auf eine Bank in der Nähe einer Gruppe Fußball spielender Jungs. Sie hatten ihre Rucksäcke auf die Wiese gelegt, um die Tore zu markieren. Es war wieder mal ein ziemlich heißer Tag und um sie herum summten Bienen emsig von einer Blüte zur nächsten. Kady ließ das Haus, in dessen Einfahrt ein roter Ford Escort parkte, nicht aus den Augen.
Seth lehnte sich seufzend zurück. Trotz des traumhaft sonnigen Wetters fühlte er sich alles andere als in Ferienstimmung. Die Ereignisse der letzten Tage hatten seine Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Er hatte das Gefühl, in einen gefährlichen Strudel hineingezogen zu werden und langsam aber sicher den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das war zwar aufregend, machte ihm gleichzeitig aber auch Angst.
»Ich bin dafür, dass wir einfach klingeln und mit Mr s Galesworth reden«, schlug er vor, nachdem sie eine Stunde vor dem Haus gesessen hatten, ohne dass etwas passiert war.
»Ach, und was sagen wir? › Entschuldigen Sie, Mr s Galesworth, dürfen wir Ihrem traumatisierten Sohn ein paar Fragen stellen? Ist sein Bruder denn inzwischen zurückgekehrt? Nicht? Oh, das tut uns aber leid.‹«
»Na ja, das wäre wenigsten s … ich weiß auch nich t … ehrlich? «
»Wahrscheinlich erreichen wir sowieso nichts. Wenn eine Armee von Psychologen nichts aus ihm herausbekommen hat, werden wir wohl kaum mehr Glück haben.«
»Vielleicht haben sie ihm nicht die richtigen Fragen gestellt.« Seth legte gedankenverloren eine Hand auf seinen Rucksack, in dem die Ausgabe von Malice steckte.
Kady stöhnte ungeduldig, weil sich am Haus nichts rührte. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Na schön, von mir aus. Wenn bis drei niemand rausgekommen ist, klingeln wir. Aber ich rede nicht mit der Mutter, das musst du dann übernehmen, okay?«
Seth betrachtete sie, wie sie da mit den Beinen baumelnd lässig neben ihm auf der Parkbank saß. Ihre dicken blonden Zöpfe glänzten im Sonnenlicht, sie hatte eine weite Hose an, klobige Turnschuhe und ein gestreiftes T-Shirt. Trotz der Hitze trug sie wie meistens eine gehäkelte Mütze, hatte eine bunte Perlenkette um und an ihren dünnen Handgelenken klimperte eine ganze Sammlung von Bändern und Armreifen. Kady kleidete sich so, wie sie war: cool, unbekümmert und sehr eigen. Seth mochte sie, seit er sie das erste Mal gesehen hatte.
Damals war er mit Luke und ein paar anderen Jungs im Wald auf »ihrer« BMX-Strecke unterwegs gewese n – einem kleinen holprigen Waldstück, das irgendjemand mal entdeckt und im Laufe der Zeit zu einem perfekten Trainingsparcours mit Schanzen, Rampen und Kuhlen umgestaltet hatte.
An einem Vormittag während der Osterferien war Kady plötzlich auf ihrem Rad dort aufgetaucht.
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