Malice - Du entkommst ihm nicht
die Lücke zwischen den Sitzen nach hinten, wo ihr Rucksack lag, und kauerte sich in den Fußraum. Graham fuhr an.
»Seien Sie bitte vorsichtig«, bat sie ihn. Er antwortete nicht.
Der Wagen hielt, Graham stieg aus und schlug die Tür zu. Kady spähte vorsichtig aus dem Fenster und sah, wie er auf Miss Benjamin zuging und sie mit gedämpfter Stimme etwas fragte. Ihre Entgegnung war kurz und scharf. Er fragte noch einmal nach. Diesmal blaffte sie ihn an. Er antwortete mit empörter Stimme.
Kady hörte ein Rumpeln in der Ferne. Der Klang eines einfahrenden Zuges.
Sie öffnete die hintere Beifahrertür, die Miss Benjamin nicht sehen konnte, und schlüpfte hinaus. Leise zog sie den Rucksack heraus und hängte ihn sich vorsichtig über eine Schulter, damit nichts darin klirrte. Graham und Miss Benjamin stritten sich mittlerweile lautstark.
»Hören Sie, ich habe Ihnen doch nur höflich eine Frage gestellt, dafür muss ich mich von Ihnen nicht so anblaffen lassen!«, rief er.
»Und wie kommen Sie auf die Idee, ich könnte die Ankunfts- und Abfahrtszeiten jedes Zugs, der durch diesen Bahnhof fährt, auswendig kennen?«, schnappte sie. »Sehe ich etwa aus wie eine Zugbegleiterin?«
Kady spähte über die Motorhaube. Graham hatte sich absichtlich so hingestellt, dass Miss Benjamin Kady nun den Rücken zukehrte. Jetzt musste sie nur noch die paar Meter zwischen dem BMW und dem Drehkreuz überwinden, ohne entdeckt zu werden.
Der Zug fuhr in den Bahnhof ein und drosselte das Tempo. Kady sah die Waggons hinter dem Zaun vorbeirollen. Sie wollte gerade losrennen, als Miss Benjamin sich umdrehte und auf den Zug zeigte. Kady duckte sich hastig.
»Bitte schön! Das da ist der letzte Zug nach London! Und jetzt hören Sie endlich auf, mich zu belästigen!«, rief sie ungehalten.
»Dürfte ich Sie vielleicht darauf aufmerksam machen, dass dieses Gleis für die Züge Richtung Norden bestimmt ist?«, sagte Graham. »Oder liegt London etwa seit Neuestem in Schottland?«
»Natürlich nicht. Ich weiß, wo London liegt!«
»Aha, dann sind es vielleicht die Himmelrichtungen, die Ihnen Schwierigkeiten bereiten?«
»Hören Sie, was wollen Sie überhaupt von mir?« Ihre Stimme war wieder leiser geworden und Kady ging davon aus, dass Miss Benjamin ihr wieder den Rücken zugekehrt hatte. Sie lugte noch einmal über die Motorhaube.
Lenken Sie die alte Hexe noch ein bisschen ab, Graham. Nur noch einen klitzekleinen Moment.
Der Zug hatte inzwischen angehalten und Kady hörte, wie Türen aufgerissen und wieder zugeknallt wurden. Ihr blieben nur noch wenige Sekunden, bevor er wieder losfahren würde.
Entschlossen setzte sie sich in Bewegung, wagte es aber wegen der Kletterausrüstung im Rucksack nicht zu rennen. Nur ein paar Meter, dann hatte sie es geschaff t …
»Wenn Sie mich nicht auf der Stelle in Ruhe lassen, werde ic h … Ich werd e …« Miss Benjamin hielt mitten im Satz inne. Sie legte den Kopf zurück und hielt ihre spitze Nase schnuppernd in die Luft.
Im nächsten Moment wirbelte sie herum und fixierte Kady mit eiskaltem Blick.
»Du!«
3
Kady rannte los, duckte sich unter dem Drehkreuz hindurch und erreichte in dem Moment den Bahnsteig, in dem der Pfiff ertönte. Sie stürmte an einem erschrockenen Schaffner und mehreren müde aussehenden Fahrgästen vorbei und packte den Türgriff.
Die Tür ließ sich nicht öffnen! Der Lokführer hatte sie bereits für die Abfahrt verriegelt.
Ruckend setzte sich der Zug in Bewegung. Kady joggte neben ihm her, als sie sah, wie Miss Benjamin überraschend behände über das Drehkreuz sprang. Verzweifelt versuchte Kady noch einmal, die Tür zu öffnen, aber es war zwecklos.
Da fiel ihr plötzlich auf, dass der Waggon, neben dem sie herlief, ein älteres Modell war. Seine Tür hatte noch ein Schiebefenster, das von den Fahrgästen geöffnet werden konnte.
Kady schöpfte neue Hoffnung, griff nach dem Metallschieber und zog das Fenster mit einem Ruck nach unten.
»Hey!«, rief der Schaffner. »Das ist gefährlich!«
»Halten Sie das Mädchen auf!«, kreischte Miss Benjamin.
Der Zug wurde schneller und Kady begann zu rennen. Sie zog sich den Rucksack vom Rücken und quetschte ihn durch die schmale Fensteröffnung. Ganz egal wi e – sie musste es irgendwie schaffen, in diesen Zug zu kommen.
»Hey! Sofort stehen bleiben!«, brüllte der Schaffner, als der Zug weiter beschleunigte und fast schon das Metallgitter erreicht hatte, mit dem das Ende des Bahnsteigs abgesperrt war. Nur noch
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