Malice - Du entkommst ihm nicht
auf was für einer endgeilen Technoparty er gewesen ist. Warum machen die Leute das? Warum wollen die, dass jeder mitkriegt, was für ein stinklangweiliges Leben sie haben? Und dann die Tussen, die sich in der U-Bahn über Handy mit ihrem Typ zoffen. Hallo? Haben die keine Selbstachtung , oder was?«
Justin hatte sich seine gute Laune zunächst nicht verderben lasse n – nicht einmal, nachdem sie feststellen mussten, dass sie an den spiegelglatten Metallwänden unmöglich aus der Grube herausklettern konnten. Seth war vor Verzweiflung verstummt, während Justin anfangs noch munter vor sich hin geplappert hatte. Aber irgendwann hatte selbst seine unerschütterliche Fröhlichkeit vor der Dunkelheit kapituliert.
Immer wieder schliefen sie erschöpft ein, und wenn sie aus den kurzen Phasen der Besinnungslosigkeit aufschreckten, fühlten sie sich nur noch mutloser. Ab und zu unterhielten sie sich, aber immer nur über oberflächliche Theme n – Filme, die sie gesehen hatten, oder witzige Erlebnisse mit Freunden. Beiden war bewusst, dass sie nur die Zeit totschlugen. Hier unten war keine Hilfe zu erwarten und ohne Licht hatten sie sowieso keine Chance, jemals wieder aus der Oubliette herauszukommen. Bald würden sie qualvoll verdurstet sein.
Seth konnte nicht glauben, was passiert war. Er hatte von Abenteuern und aufregenden Herausforderungen geträumt. Dass alles so jäh enden würde, damit hätte er nie gerechnet. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass er irgendwann vor Erschöpfung einschlief und nicht wieder aufwachte.
Wenigstens kann Kady nicht sehen, wie ich gestorben bin, dachte er. Das heißt, falls dieser Grendel keine Infrarotkamera benutzt.
Es war so unbeschreiblich dunkel, dass er nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, ob er die Augen geöffnet oder geschlossen hatte. Alles an ih m – Haare, Haut, Kleidun g – war klatschnass und schleimverschmiert. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte von den Strapazen, die er hinter sich hatte.
Aber er würde nicht aufgeben. Wenn er schon sterben musste, wollte er wenigstens bis zur letzten Sekunde kämpfen. Er hatte unbeschreiblichen Durst, er hatte Hunger. Er war zu Tode erschöpft.
»Hey, Justin?«, krächzte er. Seine Kehle fühlte sich an, als hätte sie jemand mit einem Scheuerschwamm aufgeraut.
»Was liegt an, kleiner Mann?« Justin lachte kurz auf und begann dann zu husten. »’tschuldigung.« Nachdem der Hustenanfall sich gelegt hatte, sagte er: »Das hat meine Mutter Nummer drei immer zu mir gesagt.«
»Wie bist du eigentlich hergekommen?«
»So wie du. Hab den Spruch gesagt und das Ritual durchgezogen.«
»Nein, ich mein e … wahrscheinlich meinte ich eher: Warum bist du hergekommen?«
Justin blieb stumm.
»Komm schon«, drängte Seth. »Ich hab dir meine Geschichte auch erzählt.«
Das stimmte. Er hatte ihm von Luke und Kady und seinen Eltern erzählt und von seiner langweiligen Kindheit in Hathern. Davon, dass er Angst gehabt hatte, ein langweiliger Erwachsener zu werden, und von seiner Sehnsucht nach Abenteuern.
Während sie so im Dunkeln nebeneinandersaßen, hatte er Justin sogar weit mehr anvertraut, als er eigentlich vorgehabt hatte. Dass er ein schlechtes Gewissen hatte, weil seine Eltern sicher glaubten, er wäre von zu Hause abgehauen, und dass er sich geschworen hatte, an Tall Jake Rache zu üben. Und auch, dass er sich schuldig fühlte, weil er lieber hierher nach Malice gewollt hatte, als in der wirklichen Welt zu bleiben.
»Gefällt’s dir denn hier besser?«, hatte Justin gefragt. »Würdest du jetzt nicht lieber gemütlich mit der Playstation in deinem Zimmer sitzen, statt in dieser ekligen Schlammbrühe?«
Seth hatte kurz nachgedacht. »Ehrlich gesagt war Playstation-Spielen noch nie so mein Ding.«
»Bereust du es echt nicht? Dass du ihn gerufen hast, meine ich. Dass du nach Malice gekommen bist?«
»Nein«, hatte Seth gesagt. »Ich bereue bloß, dass ich in dieses verdammte Loch gefallen bin.«
Während er überlegte, ob diese Antwort immer noch galt, fiel ihm plötzlich auf, dass Justin seine Frage noch nicht beantwortet hatte.
»Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nich t …«
»Ich denke nach, okay«, fauchte Justin. Kurz hörte man es leise glitschen, als er sich im Schlamm eine angenehmere Sitzposition suchte.
2
»Na schön. Wenn du wirklich wissen willst, warum ich nach Malice gekommen bin, musst du dir aber die ganze Geschichte anhören, klar? Sonst kapiert man es nämlich
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