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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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sie wird ja nicht die einzige sein, er hat ihr auch noch das Rauchen abgewöhnt, weil er keinen Rauch verträgt. Ob sie vegetarisch essen mußte, weiß ich nicht, aber es werden schon noch ein paar schlimme Dinge gewesen sein. Anstatt sich nun darüber zu freuen, daß sie, nachdem dieser Dummkopf sie glücklicherweise verlassen hat, am nächsten Tag wieder zwanzig Zigaretten rauchen kann und essen darf, was sie will, versucht sie, kopflos, sich umzubringen, es fällt ihr nichts Besseres ein, weil sie ein paar Monate immerzu an ihn gedacht und unter ihm gelitten hat, auch unter dem Entzug des Nikotins natürlich und an diesen Salatblättern und Karotten.
    Malina muß lachen, aber entsetzt tun: Du willst doch nicht behaupten, daß die Frauen unglücklicher sind als die Männer!
    Nein, natürlich nicht, ich sage ja nur, daß das Unglück der Frauen ein besonders unvermeidliches und ganz und gar unnützes ist. Nur von der Art des Unglücks wollte ich sprechen. Vergleichen kann man ja nicht, und über das allgemeine Unglück, das alle Menschen so schwer trifft, wollten wir ja heute nicht sprechen. Ich will dich nur unterhalten und dir sagen, was alles komisch ist. Ich, zum Beispiel, war sehr unzufrieden, weil ich nie vergewaltigt worden bin. Als ich nach Wien kam, hatten die Russen überhaupt keine Lust mehr, die Wienerinnen zu vergewaltigen, und auch die betrunkenen Amerikaner wurden immer weniger, die aber sowieso niemand recht schätzte als Vergewaltiger, weswegen auch soviel weniger von ihren Taten die Rede war als von denen der Russen, denn ein geheiligter frommer Schrecken, der hat natürlich seine Gründe. Von den fünfzehnjährigen Mädchen bis zu den Greisinnen, hieß es. Manchmal las man noch in den Zeitungen von zwei Negern in Uniform, aber ich bitte dich, zwei Neger im Salzburgischen, das ist doch reichlich wenig für soviel Frauen in einem Land, und die Männer, die ich kennenlernte oder auch nicht kennenlernte und die nur im Wald an mir vorübergingen oder mich auf einem Stein sitzen sahen an einem Bach, wehrlos, einsam, hatten nie den Einfall. Man hält es nicht für möglich, aber außer ein paar Betrunkenen, ein paar Lustmördern und anderen Männern, die auchin die Zeitung kommen, bezeichnet als Triebverbrecher, hat kein normaler Mann mit normalen Trieben die naheliegende Idee, daß eine normale Frau ganz normal vergewaltigt werden möchte. Es liegt natürlich daran, daß die Männer nicht normal sind, aber an ihre Verirrungen, ihre phänomenale Instinktlosigkeit hat man sich schon dermaßen gewöhnt, daß man sich das Krankheitsbild in seinem ganzen Ausmaß gar nicht mehr vor Augen halten kann. In Wien könnte es aber anders sein, es müßte weniger arg sein, denn es ist eine Stadt, geschaffen für die universelle Prostitution. Du wirst dich nicht mehr erinnern können an die ersten Jahre nach dem Krieg. Wien war, gelinde gesagt, eine Stadt mit den sonderbarsten Einrichtungen. Diese Zeit ist aber aus ihren Annalen getilgt worden, es gibt keine Leute mehr, die noch darüber sprechen. Verboten ist es nicht direkt, aber man spricht trotzdem nicht darüber. An Feiertagen, sogar wenn es Marientage oder Himmelfahrtstage oder Republiktage waren, wurden die Bürger gezwungen, in den Teil des Stadtparks, der an die Ringstraße grenzt, an den Parkring, in diesen grauenvollen Park zu gehen und dort öffentlich zu tun, was sie tun wollten oder tun konnten, besonders in der Zeit, in der die Kastanien blühten, aber auch noch später, als sie reiften und die Roßkastanien aufplatzten und herabfielen. Es kann kaum jemand gegeben haben, der dortnicht jeden mit jeder angetroffen hat. Obwohl alles schweigend vor sich ging, mit der größten Gleichgültigkeit beinahe, könnte man von alptraumhaften Szenen sprechen, es haben alle Leute in der Stadt an dieser universellen Prostitution teilgehabt, es muß jede einmal mit jedem auf dem niedergetretenen Rasen gelegen sein oder, gegen die Mauern gelehnt, gestöhnt, gekeucht haben, manchmal einige gleichzeitig, abwechselnd, durcheinander. Miteinander haben alle geschlafen, alle haben einen Gebrauch voneinander gemacht, und so sollte es heute niemand mehr wundern, daß kaum noch Gerüchte zirkulieren, denn dieselben Frauen und Männer begegnen einander heute höflich, als wäre nichts geschehen, die Männer ziehen den Hut, küssen die Hände, die Frauen gehen mit leichten Schritten und gehauchten Grüßen am Stadtpark vorbei, tragen elegante Taschen und Regenschirme, sehen

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