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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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feucht hervor, ich stehe in einer Blutlache, es ist ganz deutlich Blut, ich kann nicht ewig hier so stehenbleiben und mir an den Nacken greifen, ich kann es nicht sehen, was ich sehe. Ich rufe leiser und lauter: Hallo! Bitte! Hallo! So bleiben Sie doch bitte stehen! Eine Fraumit einer Einkaufstasche, die schon an mir vorübergegangen ist, wendet sich um und schaut mich fragend an. Ich frage verzweifelt: Können Sie mir bitte, bitte haben Sie die Güte, bleiben Sie einen Augenblick bei mir, ich muß mich verlaufen haben, ich finde nicht mehr weiter, ich kenne mich hier nicht aus, bitte, wissen Sie, wo die Ungargasse ist?
    Denn die Frau könnte wissen, wo die Ungargasse ist, sie sagt: Hier sind Sie schon in der Ungargasse, zu welcher Nummer müssen Sie denn? Ich deute ums Eck, nach unten, aber ich wechsle die Seite, hinüber zu dem Beethovenhaus, ich bin bei Beethoven in Sicherheit, und ich schaue von Nummer 5 hinüber zu einem mir fremd gewordenen Haustor, auf dem die Nummer 6 steht, ich sehe Frau Breitner vor dem Tor, ich möchte jetzt nicht mit Frau Breitner zusammenstoßen, aber Frau Breitner ist ein Mensch, es sind Menschen um mich, es kann mir nichts passieren, und ich sehe ans andere Ufer hinüber, ich muß vom Trottoir herunter und das andere Ufer erreichen, der O -Wagen fährt klingelnd vorbei, es ist der O -Wagen von heute, es ist alles wie immer, ich warte, bis er vorbei ist, und zitternd vor Anstrengung nehme ich den Schlüssel aus der Handtasche, ich setze zur Überquerung an, ich setze auch ein Lächeln schon auf, damit es bei Frau Breitner ankommt, ich habe das andere Ufer erreicht, ich schlendere an Frau Breitner vorbei, fürdie auch mein schönes Buch sein soll, Frau Breitner lächelt nicht zurück, aber sie grüßt immerhin, und ich habe das Haus wieder erreicht. Ich habe nichts gesehen. Ich bin nach Hause gekommen.

    In der Wohnung lege ich mich auf den Boden, ich denke an mein Buch, es ist mir abhanden gekommen, es gibt kein schönes Buch, ich kann das schöne Buch nicht mehr schreiben, ich habe vor langem aufgehört, an das Buch zu denken, grundlos, mir fällt kein Satz mehr ein. Ich war aber so sicher, daß es das schöne Buch gibt und daß ich es finden werde für Ivan. Kein Tag wird kommen, es werden die Menschen niemals, es wird die Poesie niemals und sie werden niemals, die Menschen werden schwarze, finstere Augen haben, von ihren Händen wird die Zerstörung kommen, die Pest wird kommen, es wird diese Pest, die in allen ist, es wird diese Pest, von der sie alle befallen sind, sie dahinraffen, bald, es wird das Ende sein.
    Das Schöne kommt nicht mehr aus mir, es hätte aus mir kommen können, es ist in Wellen von Ivan zu mir gekommen, der schön ist, ich habe einen einzigen schönen Menschen gekannt, ich habe immerhin noch die Schönheit gesehen, zuletzt bin ichdoch ein einziges Mal schön geworden, durch Ivan.
    Steh auf! sagt Malina, der mich auf dem Boden findet, und es ist ernst gemeint. Was redest du da von der Schönheit? Was ist schön? Aber ich kann nicht aufstehen, ich habe den Kopf auf DIE GROSSEN PHILOSOPHEN gestützt, die hart sind. Malina zieht das Buch weg und hebt mich auf.

    Ich: (con affetto) Ich muß es dir einmal sagen. Nein, du mußt es mir erklären. Wenn jemand vollkommen schön und gewöhnlich ist, warum setzt er allein die Fantasie in Bewegung. Ich habe es dir nie gesagt, ich war ja nie glücklich, überhaupt nie, nur in wenigen Momenten, aber ich habe doch zuletzt die Schönheit gesehen. Du wirst fragen, wofür es ausreicht? Es reicht ganz allein aus. Ich habe soviel anderes gesehen, es hat nie ausgereicht. Der Geist setzt keinen Geist in Bewegung, nur der Geist vom gleichen Geist, verzeih, die Schönheit ist für dich das Mindere, sie setzt aber den Geist in Bewegung. Je suis tombée mal, je suis tombée bien.
    Malina: Fall nicht immer. Steh auf. Zerstreu dich, geh aus, vernachlässige mich, tu etwas, tu irgendwas!
    Ich: (dolcissimo) Ich etwas tun? Ich dich verlassen? Ich dich lassen?
    Malina: Habe ich etwas von mir gesagt?
    Ich: Du nicht, aber ich rede von dir, ich denke an dich. Ich stehe auf, dir zu Gefallen, ich werde noch einmal essen, ich esse nur noch dir zu Gefallen.
    Malina wird mit mir ausgehen wollen, mich ablenken wollen, zwingen wird er mich, zwingend wird er sein, bis zuletzt. Wie soll ich ihm etwas von meinen Geschichten begreiflich machen. Weil Malina sich wahrscheinlich umzieht, ziehe ich mich auch um, ich kann wieder weiter, ich hole mir ein Aussehen

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