Malina
versuche, ihn nachzumachen, aber ich kann es nicht erreichen, in jedem Netz fange ich mich, jede Erpressung führe ich herbei, ich bin schon in der ersten Stunde Aldas Sklavin, keineswegs ihr Patient, obwohl sie eine Ärztin sein soll, ich erfahre nur sogleich, was Alda fehlt, was sie durchmacht, und in einer weiteren halben Stunde muß ich, Aldas wegen, für einen gewissen Herrn Kramer, nein, für dessen Tochter, weil die nichts mehr mit ihrem Vater, diesem Herrn Kramer, zu tun haben will, einen Gesangslehrer suchen. Ich kenne keine Gesangslehrer, habe nie welche gebraucht, aber halb und halb habe ich schon gestanden, daß ich jemand wüßte, der bestimmt Gesangslehrer kennt, kennen müßte, denn ich wohne doch in einem Haus mit der Kammersängerin, ich kenne sie zwar nicht, aber es wird sich ein Weg finden, der Tochter dieses Herrn Kramer zu helfen, dem Alda behilflich sein will, oder vielmehr seiner Tochter. Was tun? Ein Doktor Wellek, einer von den vier Wellek-Brüdern, ausgerechnet derjenige, aus dem nichts geworden ist, hat jetzt eine Chance beim Fernsehen, es hängt alles für ihn davon ab, und wenn ich vielleicht ein kleines Wort, obwohl ich nie das kleinste Wort an irgendwelche Herren vom Österreichischen Fernsehen gerichtet habe, fallen ließe, dann ... Soll ich auf den Rosenhügel gehen und dort ein kleines Wort fallen lassen? Kann Herr Wellek ohne mich nicht leben, bin ich seine letzte Hoffnung?
Malina sagt: Du bist nicht einmal meine letzte Hoffnung. Und Herr Wellek wird sich auch ohne dich noch unbeliebt genug machen. Wenn ihm noch einer hilft, weiß er sich bald überhaupt nicht mehr selber zu helfen. Du bringst ihn nur um mit deinem kleinen Wort.
Heute warte ich bei Sacher in der Blauen Bar auf Malina. Er kommt lange nicht und kommt dann doch. Wir gehen in den großen Speisesaal, und Malina bespricht sich mit dem Ober, aber dann höre ich mich plötzlich sagen: Nein, ich kann nicht, bitte nicht hier, ich kann mich nicht an diesen Tisch setzen! Malina meint, es sei ein ganz angenehmer Tisch, der kleine Ecktisch, den ich oft den größeren Tischen vorgezogen hätte, weil ich hier mit demRücken gegen das vorspringende Stück Wand sitzen kann, und der Ober meint es auch, er kenne mich doch, ich möge diesen geschützten Platz. Ich sage atemlos: Nein, nein! siehst du es denn nicht! Malina fragt: Was soll es hier besonderes zu sehen geben? Ich drehe mich um und gehe langsam hinaus, damit wir kein Aufsehen erregen, ich grüße zu den Jordans hinüber und zu Alda, die mit amerikanischen Gästen an dem größten Tisch sitzt, und dann noch diese Menschen, die ich auch kenne, aber deren Namen mir entfallen sind. Malina geht ruhig hinter mir her, ich spüre es, daß er einfach nachkommt, auch grüßt. An der Garderobe lasse ich mir von ihm den Mantel über die Schulter legen, ich schaue ihn verzweifelt an. Versteht er denn nicht? Malina fragt leise: Was hast du gesehen?
Ich weiß es noch nicht, was ich gesehen habe, und ich gehe plötzlich zurück ins Restaurant, weil ich denke, daß Malina hungrig sein muß, daß wir schon spät daran sind, ich erkläre es hastig: Verzeih, wir gehen wieder zurück, ich kann essen, es war nur einen Moment lang nicht auszuhalten! Ich setze mich wirklich an diesen Tisch, und nun weiß ich es doch, daß es der Tisch ist, an dem Ivan mit jemand anderem sitzen wird, Ivan wird an Malinas Stelle dasitzen und bestellen, und jemand anderer wird,so wie ich an Malinas Seite, an seiner Seite sitzen zur Rechten. Es wird zur Rechten gesessen sein, es wird einmal rechtens so gesessen werden. Es ist der Tisch, an dem ich heute meine Henkersmahlzeit esse. Es ist wieder ein Tafelspitz mit Apfelkren und mit einer Schnittlauchsauce. Dann kann ich noch einen kleinen Schwarzen trinken, nein, kein Dessert, ich will heute das Dessert auslassen. Das ist der Tisch, an dem es geschieht und später geschehen wird, und so ist es, bevor einem der Kopf abgeschlagen wird. Man darf noch einmal essen zuvor. Mein Kopf rollt im Restaurant Sacher auf den Teller, das Blut spritzt über das blütenweiße Damasttischtuch, mein Kopf ist gefallen und wird den Gästen gezeigt.
Heute bleibe ich an der Ecke Beatrixgasse-Ungargasse stehen und ich kann nicht weiter. Ich sehe auf meine Füße nieder, die ich nicht mehr bewegen kann, dann rundum auf das Trottoir und auf die Straßenkreuzung, wo sich alles verfärbt hat. Ich weiß genau, das wird diese wichtige Stelle sein, aus der braunen Verfärbung quillt es schon
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